Frisch ausgepackt II: Neue englische und amerikanische Literatur



 

Peter Carey, Das seltsame Leben des Tristan Smith, Klett-Cotta

Sein Name ist Tristan Smith, und als erstes erzählt er uns, wo er geboren wurde. Und das ist schon ein subtiler Auftakt. Daß wir dann auch noch erfahren, daß Tristans Mutter mit dem Ungeboren zu plaudern pflegte, darf niemanden überraschen. Dafür darf man sich auf andere Überraschungen und Turbulenzen gefaßt machen. (Schließlich heißt der Autor Peter Carey. Und der ist mit Illywhacker noch vielen im Gedächtnis.) Das seltsame Leben ist ein wildes und turbulentes Buch, und Fußnoten und Karten hats auch. Bitte anschnallen!
 

Annie Dillard, Der freie Fall der Spottdrossel, Klett-Cotta

Annie Dillard schreibt über Platanen und Plankton, Heuschrecken und Schlupfwespen, Entenmuscheln und Florfliegen. Sie schreibt über die Schöpfung und das Fressen-und-gefressen-werden. Sie beobachtet genau, und man lernt eine Menge - zum Beispiel, daß man gegen Albträume wilde Möhren ist. Mit Der freie Fall der Spottdrossel ist Annie Dillard - gewissermaßen en passant - etwas gelungen, was selten ist in der zeitgenössischen Literatur: ein unsentimentales aber warmherziges Empfinden für die Mitkreatur zu entwickeln.
 

Richard Dooling, Grab des weißen Mannes, Hanser

Ein Mann verschwindet in Afrika. Ein Freund macht sich auf die Suche. Und der Vater des Verschwunden glaubt, mit Geld ließen sich alle Probleme lösen. Aber sowas kann nach hinten losgehen. Und Überraschungen, die zu erleben man genötigt ist, werden sehr schnell böse Überraschungen.
Dem vierzigjährigen Dooling ist es gelungen, einen modernen Abenteuerroman zu schreiben, der zugleich als Großsatire fungiert. Die amerikanischen Rezensenten haben sich förmlich überschlagen, und wer's liest, wird sehen warum.
 

Ariel Dorfmann, Konfidenz, S. Fischer

Zuversicht aber auch Vertrauen gibt der WAHRIG an unter Konfidenz. Ariel Dorfmans Roman ist vordergründig ein Politthriller, aber es geht um vielmehr. Auch um Liebe. Und beides wird von Bedeutung sein: Zuversicht wie Vertrauen.
Dorfman, der in Argentinien geboren wurde und heute in North Carolina lebt, fasziniert vor allem durch seine äußerst gewagte Erzähltechnik, die den Leser nur selten durchatmen läßt. Und so braucht auch er Konfidenz.
 

Tony Earley, Unser kleines Paradies, Goldmann

Längst ist es nicht mehr der Reinbeker Rowohlt Verlag, der die neuen Stimmen aus England und Amerika entdeckt und seine Autoren so pflegt, wie es ein Mindetsmaß an verlegerischem Anspruch gebieten würde - nein, die Verhältnisse haben sich geändert, und zwar grundlegend. Und so muß man heute, wenn es um Entdeckungen angloamerikanischer Literatur geht, eher nach Süden schauen, nach München zu Goldmann beispielsweise. Wir verweisen da nur auf Jay McInerney, Iain Banks oder Harlan Ellison, die wir hier schon besprochen haben. Nun gilt es eine neue Stimme bei Goldmann zu entdecken, nämlich die von Tony Earley, der mit Unser kleines Paradies einen fabelhaften Erzählungsband vorgelegt hat. Earley erzählt Geschichten aus dem Alltag und zeigt, wieviel Anrührendes und Bewegendes es in ihm gibt, wie aufregend und ergreifend manche Momente im Leben der Unscheinbaren sind.
Mark Childress nannte Earleys Geschichten einfach wundervoll. Wir schließen uns an und ergänzen, daß Goldmann aus ihnen auch ein überaus hübsches Buch gemacht hat, dessen Umschlag ein Gemälde Hoppers ziert.
 

Stephen Fry, Paperweight, Haffmans

Er hat die beiden englischsten Romane dieses Jahrzehnt geschrieben. Und vieles andere hat er auch gemacht - erinnern wir uns nur an seine Darbietung des Peter in Kenneth Branaghs schöner Komödie. Zu diesem Anderen zählt auch das professionelle Verfassen von Kolumnen (und dem Äquivalent im Radio). Eine Vielzahl jener hat er nun zusammengepackt, und so ist Paperweight, das mit seinen 450 Seiten ein knappes Kilo auf die Waage bringt, entstanden. Happen über alles & alles - und zwar intelligente, wie nicht anders zu erwarten war. Niemand wird das am Stück lesen wollen (und der Autor warnt auch davor), das hat aber den Vorteil, daß einen Paperweight eine schöne Zeitspanne begleiten kann.
 

Nick Hornby, High Fidelity, Kiepenheuer & Witsch

Life is pop. Und Tapes schneiden ist wie Briefe schreiben. Wenn einen dann im Alter von 35 Jahren die Freundin verläßt, kanns trotzdem ernst werden. Andererseits ist Singlesein natürlich noch viel mehr Pop als Ehe und ähnliches.
Nick Hornby hat ein Buch geschrieben, das zwar zum Kultbuch für eine gewisse Generation (und Szene auch) avancieren könnte, trotzdem aber auch von anderen gelesen werden kann. Und das ist schön. Und Tips gibts auch: Hier folgt, wie man eine Karriere nicht planen sollte: a) sich von der Freundin trennen, b) Studium hinschmeißen, c) Job im Plattenladen annehmen, d) für den Rest seines Lebens im Plattenladen bleiben.
 

Michael Palin, Hemmingways Stuhl, Haffmans

Nach Schauspielerei, Drehbüchern, einem Theaterstück und einem ganz wunderbaren Reisebuch hat Ex-Monthy-Python Michael Palin jetzt seinen ersten Roman veröffentlicht. Er handelt vom Widerstand eines Postlers, der Hemingway verehrt und alles über ihn weiß, gegen die Wegsanierung seines Post Offices. Gewisse Tugenden, die wir aus gewissen Büchern nur zu gut kennen, kommen ihm dabei gelegen.
Die Sunday Times hat das Buch die beste Bettlektüre seit langem genannt, wir können uns dem gern anschließen, warnen jedoch davor, das Buch an einem Abend anzufangen, auf den ein Morgen folgt, an dem frühes Aufstehen unvermeidlich ist.
 

Brooke Stevens, Die Insel der Wahrheit, Aufbau

Wenn eine Frau im Zirkus wirklich weggezaubert wird, ist das für jene, die zurückbleiben, nicht nur rätselhaft. Und so macht sich Alex auf die Suche nach seiner Frau, denn der Zauberer hat für Iris nur einfaches Ticket gelöst. Schließlich landet Alex auf der Insel der Wahrheit und stößt zu einer Zirkustruppe, die sich im Inneren eines Berges aufhält. Für Alex wird es fortan immer schwerer, zwischen Imagination und Wirklichkeit zu unterscheiden, und um Iris zu finden, muß eine schwere Prüfung bestanden werden.
Stevens Roman hat neben anderen zwei überaus euphorische und selbst schreibende Kritiker gefunden: John Barth und Madison Smartt Bell.
 

Chris Wilson, Fou, Insel

Wie Keith Oatley, auf dessen hervorragenden Freud-meets-Holmes-Roman wir neulich ausführlich hingewiesen haben, ist Chris Wilson von Hause Psychologe, wie Oatley wurde er in England geboren, blieb im Unterschied zu jenem aber auch dort, und wie Oatley hat er nun einen Roman vorgelegt, der im Wien des frühen 20. Jahrhunderts spielt und eine weibliche Heldin hat, der es gelingt, den Vater der Psychoanalyse zu nasführen. Holmes tritt nicht auf, dafür jedoch einige andere Zeitgenossen, die nicht unbekannt - die Maler Gustav K. und Eugen Sch. zum Beispiel. Daß dies alles eine überaus merkwürdige Koinzidenz ist, sollte uns allerdings im Moment nicht weiter beschäftigen. (Trotzdem versprechen wir an dieser Stelle, daß wir versuchen werden, herauszufinden, ob es sich überhaupt um eine solche handelt.) Wichtig ist hier zunächst nur eines: es lohnt sehr Wilsons Fou zu lesen - und es neben Oatley zu halten und zu vergleichen, ist ein überaus vergnüglicher Zeitvertreib.