Der Kontrakt des Nilpferds

 Steffen Huck über Stephen Frys wunderbaren Roman

Ein Zyniker sei, so Ambrose Bierce, ein Schuft, dessen mangelhafte Wahrnehmung Dinge sieht, wie sie sind, statt wie sie sein sollten. Ted Wallace ist Zyniker. Und Ted Wallace ist eine Romanfigur von Stephen Fry — the Hippopotamus. The Hippopotamus — »Das Nilpferd« — ist auch der Titel des betreffenden Romans, und Wallace folglich dessen Titelheld. Wenn aber der Titelheld eines Romans Zyniker ist und Bierce nicht irrte (und er irrte nicht), dann sollte der Leser folglich etwas darüber erfahren, wie die Dinge sind. Und — manchmal geht eben doch alles schön auf —: so ist es auch.

Daß es zu den Dingen, wie sie sind, gehört, daß die meisten Menschen die Dinge sehen, wie sie sein sollten, ist die erste Lektion — wobei sich dieses Sollen stets aus subjektivem Wünschen herleitet. Daß subjektives Wünschen wiederum nicht besonders individuell sein muß, sondern — im Gegenteil — Züge kollektiven Wahns aufzuweisen vermag, ist die zweite Lektion. Heilung aller Leiden durch Sex mit einem schönen Knaben — nun, geben wir's zu — wer wäre von diesem Gedanken nicht auf die ein andere Weise angetan? Trefflicher kann sich Angenehmes und Nützliches wohl kaum vereinigen. Was in diesem Fall nicht nur für die Patienten sondern auch für den Heiler gilt — David, den Knaben. (Und daß David nicht nur voller Verantwortung für Menschen ist, tut der Lust keineswegs Abbruch.)

Gerüchte über David und die Rekonvaleszenz der tod- weil krebskranken Jane Swann — und über den möglichen Zusammenhang — treiben einen Haufen Bekannte und Verwandte auf dem Landsitz von Davids Eltern in Norfolk zusammen. Und Ted Wallace, der übrigens Autor war und Rezensent noch ist, ist mittenmang, hat er doch einen Kontrakt mit Jane geschlossen, gegen Münze die Geheimnisse von Swafford Hall (so heißt der Landsitzes) zu ergründen — freilich ohne die geringste Ahnung zu haben, worin die Geheimnisse bestehen könnten. Und es dauert seine Zeit — genaugenommen rund 300
Seiten — bis Ted sieht, was gespielt wird. Inzwischen sind die Stute Lilac und die Tunte Oliver geheilt worden. Und auch die — ich weiß nicht, fünfzehnjährige? — Clara, die blasse Tochter der Cliffords, bei der sich David in die dritte der aufnahmefähigen Körperöffnungen ergossen hat. Daß diese Zähne hat, wird für David allerdings schmerzhaft. Und daß Ted die Sache mit angesehen hat, bereitet seinem Wunderheilerstatus ein baldiges Ende. Was nun wiederum nicht heißt, daß es keine Wunder gegeben hätte. (Was jetzt wiederum hoffentlich für einige Verwirrung sorgt, aber, glauben Sie, das Buch ist noch ungleich verwirrender.)

Und diese Wunder sieht der, der dazu bestimmt: der Zyniker, das Nilpferd: Ted Wallace, der seinen Kontrakt erfüllt, als Jane stirbt. Und daß diese Wunder — ganz unspektakulär — auf praktisch=ländlichem Lebenssinn, Mitgefühl und Liebe (ja, durchaus: Liebe) gründen, ist die dritte Lektion. Daß Ted Wallace freilich sein Leben diesen Tugenden nie gewidmet hat, geschwiege denn fürderhin widmen wird, ist die letzte Lektion. Aber Nilpferde müssen schließlich nicht für alles da sein.

Haffmans.