[ kurzbesprechungen: august 1998 ]
Im Laufe des Augusts 1998 werden Sie u.a. lesen über: Eine private Affaire, Der grosse Kuss, Estela Santos alias speedy Paul Sorel, einen weißen Mercedes mit Heckflossen und einen drittklassigen Musiker mit erstklassiger Leidensfähigkeit.

John Burdett: Eine private Affaire

Der ehrgeizige Anwalt James Knight wird verdächtigt, einen seiner früheren Klienten umgebracht zu haben. Oliver Thirst stellt das Gegenstück zu Knight dar: Knight ist der erfolgreiche Jurist, der sich aus der Unterschicht emporgearbeitet hat, Thirst der clevere, kompomißlose Kriminelle, der seinen Verteidiger in den Bann zieht, mit ihm spielt und schließlich dessen Freundin Daisy erobert. Mehr als zehn Jahre später soll Knight Thirst ermordert haben. Mit Daisy tauchen die Erinnerungen an die Zeit auf, als sich das Leben der drei zu einem unlösbaren Knoten verschlang. Rückblickend erzählt Knight, wie ein gewaltsames Ende fast unausweichlich schien. Das wissen auch die Polizisten, die Daisy und Knight unter Mordverdacht stellen, sind sie doch alte Bekannte in der Lebensgeschichte Knights.

Eine private Affaire ist mehr als eine simple Geschichte über Dreiecksbeziehungen. Sie ist eine Geschichte über die Korrumpierbarkeit durchs Erwachsenwerden, über den Verlust an Illusionen und den Verlust an Gemeinsamkeit, über Macht und Erfolg und über die Faszination des ganz anderen, der sich den gesellschaftlichen Normen nicht fügen will, oder erst zu spät. Sie präsentiert das schillernde Leben der besseren Schichten in London und das bittere Schicksal der Chancenlosen. Das Leben des Anwalts scheint einer einfachen Gleichung zu folgen: Knight steigt zum strahlenden Ritter empor und soll bald zum Kronanwalt geschlagen werden. Er verliert seine Freundin an Macht und die Hoffnung auf ein unbekümmertes Leben voller Tagträume und Illusionen. Schlimmer noch, verliert er seine Freundin an seinen Counterpart Oliver Thirst, der sich nicht aus der Gosse hocharbeiten konnte, der zu spät die Chancen eines bürgerlichen Lebens nutzen will. Knight erzählt uns, welchen Preis der Erfolg hat. Bleibt die Frage, ob Knight ihn letzten Endes zu zahlen bereit war.

Eine private Affaire fasziniert durch die glaubwürdigen, wenn auch undurchschaubaren, drei Hauptcharaktere, die drei Idealtypen in der englischen Gesellschaft repräsentieren. Der Kriminalfall reißt den Leser in den Strudel verworrender Emotionen und komplizierter Lebensgeschichten und nimmt ihn mit auf eine Reise in die Vergangenheit, aus der ein Mord erwächst.

Malik 1998, Hardcover, DM 39,80

David Huggins: Der grosse Kuss

Christine Mühlbach über junge Briten, große Krisen und den Kuss der Musen

Steve Corks: Jungunternehmer, englischer Mittelklassemann, verheiratet, kinderlos, sieht sich vor dem Aus: seine Ehe bröselt, seine Firma wird ihm weggeschnappt, sein kollegialer Vorgesetzter setzt ihn frei, und zu alledem landet er mit Nervenzusammenbruch in der Klinik. Tief im Stolz verletzt, gräbt sich Steve immer tiefer in Verschwörungstheorien, in denen sein Chef und Ex-Freund Alan betrügt, vergewaltigt, mordet, lügt. Allein, es fehlt der Beweis für seine Theorie. Einstweilen leidet Steves Ego unter Jobmangel und Unterforderung, aus der ihm weder Eheberatung, Psychogruppe noch Midlifecrisis-Grübeleien heraushelfen. Kurzum: Steve hat einen an der Rassel.

Er ist der typische britische Mittelschichtserfolgstyp der jungen Autoren wie Huggins oder Hawes oder Coe des einstigen Großreiches Britannien, die sich selbst und ihre Helden heute vor dem Scherbenhaufen ihrer Yuppieträume sehen und die Großen Utopien von Freiheit, Glück und Macht an Ehefrau, Kinderlosigkeit und Thatcherismus verkaufen mußten. Die Ideale sind futsch, und wie laut auch die Wehklagen über die von Maggie Thatcher verratene Chancengleichheit und die wachsenden Klassengräben tönen mögen, sie sind doch nur ein müder Abklatsch der Selbstanklagen der müden Männer, die sich nach Großem sehnten und ihr Junggesellendasein dermaleinst schweren Herzens, aber guten Glaubens gegen einen heimischen Himmel und aufopferungsvollen Job tauschten.

Denn was passiert? Die Jobs gehen flöten, und prompt kriselt’s an jeder Front: Kinder, Kinder sollten her, doch selbst Spermaproben und Fruchtbarkeitstabellen führen nicht zu eigenem Nachwuchs; Erfolg und Geld sind vorbei, und die einsamen Kämpfer erzählen bereitwillig von ihren Selbstzweifeln und ihrer Selbstsucht; Freunde verraten Freunde, und unsere einsamen Streiter entdecken, daß Randfiguren der bürgerlichen Existenz sich als die wahren Freunde entpuppen. Und fehlen dürfen nicht die, die ganz selbstverständlich anders leben: die Trinker, Schwulen, Perversen, Ausgegrenzten aus unserer neoliberalen Wirtschaftswunderwelt, also die, die zur eigentlichen Normalität geworden sind. Denn die Versprechen an die Mittelschicht vom eigenen schuldenfreien Haus, einem Klasse-Job und einer stinknormalen englischen Familie entpuppen sich als unerreichbare Wunschträume. Denen nachzurennen führt zu Identitätsverlust, Gesichtsverlust und Lustverlust. Jonathan Coe und James Hawes erzählen ein Lied davon.

Junge britische Autoren wie David Huggins geben das Lebensgefühl und den Erwartungshorizont einer ganzen Generation junger Männer (und Frauen?!) wider. Dem Bild der potenten, mächtigen, finanzstarken, kräftigen, verständnisvollen, selbstsicheren und fertilen Adonis-Männer kann Steve Cork nur die ironische Selbstbespiegelung vorhalten: Ich bin ein armer Schlucker, aber ich trag’s mit Humor. Saaad, but true. So traurig und trist ihr Dasein, so ausweglos ihre Situation sein mag, – so lustig ihre Geschichten, die den ernsten Kern nicht übertuschen, sondern nur in freundlichem Gewand präsentieren. Nein, lustig ist es nicht, wenn Jungunternehmer ihren hochdotierten Job verlieren, wenn sie infertil sind und Sex nur noch als eheliche Pflichtübung begreifen.

Steve Corks, unserem Helden aus Der grosse Kuss, entgleitet sein Leben. Oder entglitt. Denn der Roman rollt eine große Retrospektive auf, die Geschichte, die sein Leben veränderte, an deren Ende der Romanbeginn steht. Rückblickend erzählt er in so unterhaltsamer wunderbarer Weise von seiner Frau Liz, seinem Compagnon Tony und Chef Alan, von Mary und Kate, daß alleine mit diesen sechs Personen eine komplexe Handlung rekonstruiert und entwirrt wird. Beispiele? Zitate? Das Blättern im Buch brächte nur einen beliebigen Ausschnitt, der den Witz und Esprit, der sich wie ein roter Faden durch den ganzen Roman schlängelt und nie abreißt, unmöglich zur Geltung bringen würde. Ich verspreche aber: ich werde weitersuchen, und gerne greife ich gleich wieder die Lektüre auf, die ich eben erst beendet habe. Oder ich warte sehnsüchtig auf ein weiteres Werk von David Huggins.

Die deutsche Übertragung von Karsten Singelmanns ist wunderbar: flüssig, mit sicherer Wortwahl und den Witz des Originals treffend.

Haffmans 1998, Hardcover, DM 39,90

 

Nicholas Blincoe: Acid Killers

Estela Santos, eine hübsche Frau südamerikanischen Teints, kehrt nach über zehn Jahren in ihre Heimatstadt Manchester zurück. In der ersten Nacht läßt sie sich die Baretta klauen. So muß sie sich wohl oder übel mit den Leuten abgeben, die sie mit ihrer Flucht nach Amerika hinter sich gelassen glaubte. Denn ohne Knarre kann sie ihren Ex-Boss nicht um die Ecke bringen, und Auftrag ist Auftrag. Estela trifft Theresa und Junk, Bernard und Burgess, teils Newcomer in der Drogen- und Partyszene, teils alte Bekannte, die Estela in ihrem neuen Outfit nicht wiedererkennen.

Estela taucht so ungewollt immer tiefer in Manchesters Welt der Gangs und Club-Szene-Typen ein. Alle sind sie ein Stück älter geworden, alle ein Stück besonnener: ihr Ex-Chef, ihr Ex-Lover, Clubber, Dealer. Doch der Schein trügt. Das Klima in Manchester ist rauher geworden. Gezeichnet von Jahrzehnte währenden Drogen- und Bandenkriegen, ist die englische Provinzmetropole zu eine schlüpfrigen Refugium für miese Geschäftemacher und kalte Bandenbosse geworden, die nach der wilden Straßenkriegsphase der siebziger Jahre nun seelenruhig hinter glatter Fassade ihren kleinen und großen Deals nachgehen. Es gibt sie noch, die Drogen und Doper, die Bandenbezirke und Revierfürsten.

Drogen sind im Manchester der späten 90er Jahre allgegenwärtig. Die Stadt besteht – durch Blincoes Brille betrachtet – nur aus Speed, Haschisch, Koks, Hormontabletten und Amphetaminen und den Männer, die mit ihnen dealen und sie konsumieren. Und dennoch feiert Acid Killers keine Hippie-Nostalgie. Die Helden sind zu kaputt von Drogen und verlebtem Leben, um als Heroen zu taugen. Die Stadt fällt in zu heterogene Bruckstücke, als daß sich eine stringente Milieustudie erstellen ließe. Die Geschehnisse werden als so unausweichlich präsentiert, daß sie nur mit einer Art Schicksalsgelassenheit quittiert werden können. Das Manchester der 90er Jahre. Die Drogen hatten Junk nicht zerstört, sie hatten ihn gemacht. Drogen können einen, wie eine Art chemisches Schicksal, in die Person verwandeln, die man sein muß 

Acid Killers ist ein bedrückend bunter Thriller über die brutale Welt der Drogenkriminellen, der Club- und Technoszene und das Spiel mit den Identitäten. Denn niemand ist, wer er vorgibt zu sein, und jeder sucht allein die eigenen Vorteile. Charakterstudien zeichnen das Buch nicht aus; die Fassade ist das, was wir von den Protagonisten zu sehen bekommen, und damit sehen wir eine ganze Menge. Acid Killers ist ein packendes Buch, das durch seine immense Distanz zur heilen Bürgerswelt beeindruckt.
 

dtv, August 1998, DM 16,90
Martin Amis gilt als das enfant terrible der britischen Literatur: Bücher im Netz führte ein Gespräch mit dem Autor und stellt seinen Roman 1999 vor. Wem noch mehr wissen will, der sei auf eine große Website verwiesen, die einzig & allein Amis gewidmet ist. 

Juli 1998 James Lee Burke: Cimarron Rose
Morton Harry Olsen: Die Osiris-Morde
Iain Banks: A Song of Stone
Elmore Leonard: Zuckerschnute
Donna Masini: Alles über Yvonne
James Crumley: Jeder gräbt sein eigenes Grab
Anonymous: Mit aller Macht