[ kurzbesprechungen: juli 1998 ]
Lesen Sie im Juli 1998 über den neuen Helden bei James Lee Burke, die schwedischen Orisisi-Morde, Iain Banks neustes düstres Werk, Elmore Leonards Drehbuch, Alles über Yvonne, einen Kriminalroman von James Crumley und eine Clinton-Parodie. 

James Lee Burke: Cimarron Rose

Billy Bob Holland ist der neue Dave Robicheaux von Texas. Detektiv Robicheaux erweckte neun Romane lang Burkes Südstaatenzuhause Louisiana zum Leben, und wer diese Romane zu schätzen gelernt hat, dem wird auch Billy Bobs Geschichte gefallen. Der ist Anwalt in einem Kaff in Texas, und er zeigt uns seine Welt, erzählt uns, wie man im kleinen für große Gerechtigkeit sorgt, wie man als einsamer Ritter Alkohol und Einsamkeit und alten Erinnerungen entflieht und wofür es sich zu kämpfen lohnt. Die Geschichte: Der schwarze Halbwüchsige Lucas Smothers wird des Mordes und der Vergewaltigung angeklagt; und sein Zellnachbar macht ihn zum Mitwisser eines Serienmordes – Lucas sitzt in der doppelten Klemme, und die feinen weißen Herren machen es ihm und seinem Anwalt Billy Bob Holland nicht leicht, die Geschichten zu entwirren und die Schuldigen einer gerechten Strafe zuzuführen.  
Ein sensibles Buch, knapp am Moralinsauren vorbei mit einem durch und durch ehrlichen Helden, der sich empfiehlt durch seine klaren Vorstellungen vom guten Leben auch für die Romane, die Burke folgen lassen mag. Ein hervorragender Krimi. 

In Texas wird es Lousiana, und wir können nicht schlafen.

Paperback, Orion 1997, Englisch, £5.99

 

Morton Harry Olsen: Die Osiris-Morde 

Tom Sundbye ist Experte für Serienmorde und aus dem Polizeidienst ausgeschieden. Als in Oslo junge Frauen nach einem archaischen Ritual ermordet werden, setzt ihn sein ehemaliger Arbeitgeber mit der Psychologin Vibecke auf den Fall an. Was wie eine brutale Tat und eine normale Kriminalgeschichte daherzukommen scheint, ist dennoch mehr. Der Held erzählt schnörkellos, doch einfühlsam – ein Appell an unser Mit-Gefühl wie bei der Trauerfeier für eine der Opfer –, die Psychologie des Mordens stimmt; überdies ist die Übersetzung aus dem Norwegischen hervorragend. 

Solch einen Fall wünschen sich die Leser. 

Paperback, Ullstein Tb 1997, Norwegisch, DM 15,90
 

Iain Banks: A Song of Stone

Aus Angst vor Plünderungen und Mangel verlassen der Ich-Erzähler und seine Frau ihr Schloß, doch sie dürfen nicht als gewöhnliche Menschen enden, sondern werden gezwungen, mit ihren neuen Herren zurückzukehren und langsam von ihrem alten Leben Abschied zu nehmen. Oder genauer: von allem Abschied zu nehmen, was an Alltag, an Zivilisation, an Moral und Tabus erinnert. Macht, Gewalt und Hintergehen sind bitter ernst; nur die Vorstellung des Ich-Erzählers bieten ihnen Schranken. Eine Allegorie, die den Ich-Erzähler und uns geradewegs ins Nichts führen. Leere, Aus, Welt-Ende – sie werden von einer regenbogenfarben schillernden, eindringlichen, bilderreichen Sprache fast schon konterkarriert. Banks jüngstes Buch spiegelt wie seine anderen Großbritanniens Realität wider, diesmal bitter und ernst, wo zuvor unterhaltsam und leicht. Ein schwerer Brocken, der standfeste LeserInnen verlangt, dessen Lektüre aber lohnt. 

Bleierne Welt, steinernes Herz?

Hardcover, abacus 1997, Englisch, UK £16.99

-> Mehr über Iain Banks

  

Elmore Leonard: Zuckerschnute 

Jack Foley, ein gewiefter fulltime-Bankräuber, entwischt im Huckepack-Verfahren aus dem Gefängnis und landet geradewegs in den Armen der toughen Strafverfolgerin Karin Sisco. Zwar kann er sich rasch aus ihrem physischen Zugriff befreien, aber das Herz, das Herz... Jack muß zudem Geld beschaffen; ein Mega-Coup in Detroit mit einigen Ex-Knackis lockt den Bankräuber von seinem bekannten Terrain. 
Elmore Leonard, der Autor von Get Shorty, hätte sein Drehbuch Zuckerschnute besser gleich nach Hollywood geliefert, denn es schreit nach Bildern, und die vielen Dialoge und raschen Szenenwechsel etwas ermüden beim Lesen. Wir warten auf den Film, können das Buch aber guten Gewissens empfehlen.

Lass drehn, Leonard. 

Goldmann Taschenbuch 1997, DM 12,90

Donna Masini: Alles über Yvonne

Die Icherzählerin und erfolgreiche Dozentin Terry argwöhnt ein Liebesverhältnis zwischen ihrem Yuppiegatten, dem markigen Mark, und einer Frau namens Yvonne. Die Handlung ist rasch erzählt: Terry sucht nach Anhaltspunkten für die Affaire zwischen Mark und Yvonne, sie spioniert den beiden nach, sie recherchiert, sie erfindet, sie lügt ihren Mann und ihren Psychater an; kurzum: Yvonne nimmt sie so sehr gefangen, daß sie sich außerstande sieht, ihren Mann zur Rede zu stellen und ihr eigenes Leben zu leben. Einzig die Kreativität, die in den heimlichen Spioniergängen liegt, kann man der Erzählerin als Bonus anrechnen. Nach enervierend langen 300 Seiten findet Terry alles über Yvonne heraus. 

Terry erfüllt  perfekt das Bild der leidenden, liebenden, aufopfernden Ehefrau, die sich in ihre Wahnvorstellungen steigert und realitätsblind die Augen vor der wirklichen Welt verschließt. Ein Weib ganz nach Klischee, ein Weib, wie es sich die Welt nur wünschen kann. Ein Weib, das wir den Leserinnen nicht als Vorbild empfehlen. Nach der Lektüre bleibt bei der Leserin das schale Gefühl zurück, daß Icherzählerin und Autorin ihre bemerkenswerte Energie besser hätten verwenden können. Wer die revolutionäre Macht von Romanen in den Lebensentwürfen sieht, die dort präsentiert werden, kommt bei Alles über Yvonne kaum auf seine Kosten.  Romane von Frauen sind eben noch lange nicht emanzipatorisch. Wer aber auf solide Art über Eifersuchtswahn, die Liebe und Verstrickungen der Geschlechter lesen will, darf ruhig und guten Gewissens zu Alles über Yvonne greifen. 

Alle Klischees über Frauen! 

Europaverlag, Hardcover 1998

James Crumley: Jeder gräbt sein eigenes Grab

Der Anfang des Krimis gibt Ton und Gangart vor: Privatdetektiv und Ex-Lebemann Milodragovich wird von einem unbekannten Gorilla irgendwo in einer Spelunke im Südwesten Amerikas halbtot geschlagen, einfach so. Er berappelt sich, und dann erzählt er im Wechsel mit seinem besten Kumpel aus alten Säufer und Schnüfflertagen, T.R. Sughrue, eine verworrene Geschichte. Denn als Milo mit seinen gestandenen 53 Jahren endlich das Millionenerbe antreten kann, ist es verschwunden. Und Sughrue versteckt sich im tiefsten Texas, weil man ihm nach dem Leben trachtet. Und nun tun sich die Lebemänner T.R. und Milo von einst zusammen, gereift, ernster, weniger risikobereit, aber dennoch ganze Männer – mit der .38er in der Gesäßtasche, gestähltem und gebräuntem Körper und einer enormen Schmerztoleranz. Sie müssen zahlreiche Feuerproben und -gefechte bestehen, um Geld und Ehre wiederzuerlangen. Dabei erleben sie die ganze Palette der Verbrechen, Betrügereien und Ilegalitäten an der Grenze zwischen Texas und Mexiko. Deshalb ist der Kriminalroman von Crumley auch so dick: 363 Seiten, die zu lesen viel Freude bereiten könnte, wäre da nicht die etwas stumpfe Übersetzung, die der lockeren amerikanischen Machostory eine unnötige Schwerfälligkeit verleiht. 

Texas-Fieber um ein Millionenvermögen und Machos

Piper TB 1998, DM 16,90
 
 

Anonymous: Mit aller Macht 

Über die Nummer eins der USA Bill Clinton wird viel kolportiert; Primary Colors gab vor den Geschichten aus dem wirklichen Leben schon 1995 mit einer Fiktion den Stoff vor, aus dem die Präsidenten sind. Primary Colors Autor Anonymous alias Joe Klein weiß, was den Präsidenten präsentabel macht und ihn den Vorwahlkampf trotz Widrigkeiten gewinnen läßt. Das sind politische Kuhhandel, eine breite Palette unterschiedlicher Händedrücke, Schmutzkampagnen, hübsche Frauen und vor allem Strategiesitzungen. Große Freude an dem Buch hat, wer sich mit dem amerikanischen Politiksystem zumindest rudimentär auskennt. In jedem Fall ist Primary Colors amüsant und witzig, mancher kurzatmigen Leserin mit seinen 500 Seiten aber womöglich zu lang; ihr wird geraten, sich den Kinofilm anzusehen. 

Der Stoff, an dem Politiker sich schneiden.

Heyne TB, DM 14,80 (Englisch: Primary Colors)