[ juni 1999 ]
Grelle Welten: Michael Chabons Held Grady Tripp traumelt im wilden Rausch durch Pittsburg; Rupert Thomsons Figuren kollidieren, und man sieht orange; Jim Dodge schickt George Gastin auf die Suche nach dem "Spirit of Rock'n'Roll".
 

Michael Chabon: Wonder Boys

Grady Tripp entgleitet sein Leben: der alternde Literaturprofessor scheitert an seinem ellenlangen epischen Roman „Wonder Boys", trauert seiner Jugend und Unschuld nach, die endgültige Entfremdung von seiner Frau droht, die Geliebte will nicht mehr Geliebte sein. Zz allem Überfluß setzt ihn sein alter Freund und Lektor Terry Crabtree gehörig unter Druck: nicht nur will er „Wonder Boys" sehen, er will auch Gradys abgedrehten schönen Studenten und Schreiberkonkurrenten James Leer befummeln und bevorzugen. An jenem Wochenende bricht sich das explosive Gemisch Bahn, und Grady stolpert mit seinen falschen Freunden, Drogen, Sexgelüsten und einem Rattenschwanz an Selbstzweifeln, Sorgen und Streitsucht im imaginären Gepäck quer durch Pittsburg, zur Geliebten, zur angeheirateten Verwandtschaft, um schließlich durch die Exzesse doch zu sich selbst zu finden.

Wild, eklig, abgründig, rasant, und komisch, spritzig und anrührend: „Wonder Boys" zeichnet mit nicht nachlassendem Tempo die verrückte Suche nach einem Lebenssinn und Ziel nach. Eine intelligente Komödie, die ohne Kitsch und Klischees auskommt.
(cm)

Kiepenheuer & Witsch 1996

Rupert Thomson: Soft

Mein orangefarbenes Sommerkleid trage ich nicht mehr unbeschwert: Rupert Thomson heißt der Autor, der daran schuld ist, daß ich orange assoziiere mit Manipulation, Marketingtricks, messerscharfer Beobachtungsgabe. Und daß ich bei orange unweigerlich an Soft denke, einem Thriller, wie ich ihn bislang selten gelesen habe. 

In ihm werden drei Charaktere ein Stückweit durch ihr Leben im tristen London begleitet. Ihnen ist vieles gemeinsam: sie sind alleine, nachdenkliche Einzelkämpfer, gerade erwachsen geworden, doch immer wieder eingeholt von ihren trostlosen Jugendtagen und kleinlich=kleinbürgerlichen Elternhäusern. Die Lebenslinien der drei schneiden sich zufällig an einem Punkt; ungewollt, unbewußt; nur dem Leser eröffnet sich ein Panorama des Grauens; die Puzzleteile fügen sich zu einem grausamen Ganzen. Und doch ergibt das Ganze keinen Sinn, folgt einzig der Logik des Verkaufs und Marketings: die Menschen sind Spielbälle des Profits und seiner Handlager, dem modernen Yuppie. 

Soft lebt von dem Kontrast zwischen den drei autonomen, willensstarken Figuren und der Vergeblichkeit ihres Handelns: es scheint, als könnten sie ihrem Schicksal nicht entweichen; wie sehr sie sich auch anstrengen, nicht miteinander in Berührung zu kommen und die Explosion zu vermeiden, die diese Berührung auslöst – es gelingt ihnen nicht. Die Welt birst, und wir blicken auf ihren glühenden, orangefarbene Kern 

Soft ist ein packender Thriller, der das Herz rasen und die Sinne zittern läßt und Emotionen mit einer kaum gekannten Tiefe schildert. Thomson ist sein Meister. (cm)

Bloomsbury, Paperback 1998

Jim Dodge: Not fade away 

Jugend in den 60er Jahren in Amerika: George Gastin ist seinen Wunsch-Job als Fahrer von Brummis und Abschleppwagen satt und füllt sein Leben in Californien mit allerlei Abenteuern, die schließlich in einen gigantischen Versicherungsbetrug gipfeln: George soll einen blütenweißen ’59er Caddie schrottreif fahren. Doch den hatte eine alte Jungfer dem von ihr bewunderten Rock’n’Roll-Jungstar „The Big Bopper" vermachen wollen, der mit Ritchie Valens und Buddy Holly bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam. Die alte Lady ist tot, Big Bopper ist tot, und so setzt sich George in den Kopf, das Zeichen der Liebe selbst zu überbringen. Mit einer Riesendosis Drogen, falschen Papieren, einem Kofferraum voll Bier und der fixen Idee ausgerüstet, durch das Liebeszeugnis die Seele des Rock’n’Roll und seiner selbst zu erfassen, cruised George quer durch die USA zum Grab des Kultstars – verärgerte Gangster und Polizisten dicht auf seiner Spur. Unterwegs gabelt er jede Menge skurriler Gestalten auf wie den Experimentator Joshia, mit dem er einen Zug akkustisch durch ein verschlafenes Dorf jagt, den durchgeknallten Reverend Double-Gone, die verstörte einsame Mutter Diana, der er ihren Schallplattensammlung abkauft. Drogen, Rock’n’Roll und die Erinnerung an vergangenen Sex – George deckt auf der langen Reise viele Meilen und Geisteszustände ab, immer auf der Suche nach den „possibilites of love and music". 

Not fade away ist erstklassige Unterhaltung, irre und lustig erzählt, gespickt mit netten Anekdoten und Alltagsweisheiten und einer Art morbidem Humor. Es handelt von den elementaren Dingen des Lebens und kommt doch so leicht daher, daß man die Bürden des Daseins nicht spürt und das Buch nie wieder loslassen möchte. (cm)

Rebel Inc., Paperback 1987


April 1999

Harold Nebenzal: Der Löwenkult
Elisabeth George: Im Angesicht des Feindes
Jean-Pierre Gattégno: Schnee auf den Gräbern

März 1999

Scott Smith: Ein ganz einfacher Plan
Georg M. Oswald: Lichtenbergs Fall
Zachary Klein: Die Lebenden und die Toten
Februar 1999 Olivia Kleinknecht: Liebeslohn
Donna Leon: A Noble Radiance
Tim Parks: Europa
Dietrich Schwanitz: Der Zirkel
Carl Hiaasen: Unter die Haut

Januar 1999

Carl Hiaasen: Lucky you

Dezember 1998

John McCabe: Stickleback
Ben Elton: Popcorn
Enrico Remmert: Looove never dies

November 1998

Benjamin v. Stuckrad-Barre: Soloalbum
Quim Monzó: Das ganze Ausmaß der Tragödie
Tom Zürcher: Högo Sopatis ermittelt
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