[ im april 1999 ]
Drei Gesandte der Elfenbeinküste überleben im modernen Zürich./ Wer hält die Macht in der Hand: Politik oder Medien? Elisabeth Georges achter Kriminalfall gibt eine dritte Antwort. / Der Psy Durand schläft bei einer Sitzung ein und wacht bei einer Leiche auf. 
 

Harold Nebenzal: Der Löwenkult

Der Löwenkult ist mehr als nur ein Triller, er ist erotische Lektüre. Der Thriller Der Löwenkult handelt vom Überleben eines kleinen Konsulats der kleinen ehemals französischen Kolonie Ebenholzküste im ferner Zürich. Die drei afrikanischen Repräsentanten müssen nicht nur gegen die Vorurteile der stolzen Zürcher ankämpfen. Sie fristen ein eher karges Leben in der teuren Schweiz, weil die Prunksucht der Landsmänner in der Berner Botschaft alle Mittel der Ebenholzküste verschlingt und das französische Generalkonsulat den Geldhahn abdreht. Als einziger Ausweg bleibt Hanibal Ndulu ein dubioser Deal: die Franzosen zahlen für die Beseitigung eines algerischen Fundamentalisten. Doch es sind zu viele Interessen im Spiel, als daß es bei einen Mord bleiben könnte. Denn die Berner wittern ihre Chance, die unliebsamen Landsmänner vom Feindesclan des Löwenkultes endlich loszuwerden. Und so müssen die drei einsamen Gesandten der Elbenholzküste: der Konsul César Maboko, Hanibal Ndulu und seine Ehefrau Marie Blanche gegen allerhand ankämpfen: gegen einen arischen Schweizer, gegen chronischen Geldmangel, gegen Intrigen, gegen die Schweizer Polizei. Gut, daß sie mit den handfesten Reizen und Stärken des Löwenkults ausgestattet sind und eine multiethnische Hausgemeinschaft hinter ihnen steht!

Der Roman strotzt vor Erotik, Analem, Sexuellem. Fast eigenständiger Akteur des Löwenkult ist Ndulus kieselsteinverzierter Schwanz, ehrfürchtig von einer Verflossenen „Der Ehebrecher" getauft. Irgendwie drängt er sich in jedes Kapitel, nicht unangenehm, nicht aufdringlich, eben so natürlich, wie sich und uns Nebenzal die schwarzen Eingeborene vorstellt, die von der exotischen Mixtur aus Gewalt und Geilheit zum Leben erweckt werden. Der Löwenkult ist zwar weder ein Kult- noch ein Kulturbuch, aber dennoch kurzweilig, amüsant, erotisch=anregend und komisch. (cm)

Haffmans 1999, fester Einband

Elisabeth George: Im Angesicht des Feindes

Kampf der Giganten: Die konservative Politikerin Eve Bowen und der linke Skandalblatt-Chef Dennis Luxford spielen mit dem Leben ihrer gemeinsamen Tochter Charlotte, die spurlos verschwunden ist. Die alleinerziehende Mutter verdächtigt Luxford, mittels ihres zehnjährigen Kindes die Regierung stürzen und die Auflagenhöhe seines Schmierblattes in schwindelerregende Höhen treiben zu wollen. Daher untersagt sie Luxford kategorisch, die Polizei einzuschalten, hält sie ihn doch für den Strippenzieher hinter der Entführung von Charlotte. Die beiden Elternteile, die seit ihrer kurzen Affaire auf einem Tory-Parteitag vor elf Jahren keinen Kontakt mehr zueinander hatten, einigen sich schließlich, Gerichtsmediziner Simon St.James einzuschalten, der das Kind aufspüren soll. Die Nachforschungen von St. James kommen zwar gut voran – kommen allerdings zu spät: das Kind wird tot aufgefunden. Und nicht nur das: eine zweite Entführung findet statt: Luxfords ehelichem Sohn Leo droht Charlottes Schicksal. Polizei und die bewährte Truppe rund um St.James, Thomas Lynley und Barbara Havers ermitteln im Dunstkreis von Politik und Medien. Als sich der Nebel lichtet und der Fall gelöst ist, hat als wahrer Täter der Zufall seine Hand im Spiel. Der Kampf der Giganten in Form der Staatssekretärin Eve Bowen und des Boulevardmoguls Dennis Luxford entpuppt sich als Streit zweier Machtmenschen, die die Grenzen ihres berechenbaren Einflusses schmerzhaft zu spüren bekommen: Karrieren sind nicht kalkulierbar. 

Ja, Im Angesicht des Feindes ist ein Buch über das Zusammenspiel von Politik und Medien. Es ist aber vor allem ein Buch über Korrumpierbarkeit und Kompromisse, die, wenn sie auffliegen, den Rausschmiß aus dem warmen Nest von Macht und Machern bedeutet: Bowen und Luxford müssen erkennen, daß sie nicht glaubwürdig für die Ziele eintreten, für die zu leben sie vorgeben. Bowens politische Phrasen für alleinerziehende Mütter und hehre moralische Grundsätze schmecken schal, da sie sich als zielstrebige Karrierefrau ohne jegliches Interesse am Tun und Wohle ihres Kindes zeigt. Luxfords Phrasen gegen die konservative Regierung muten heuchlerisch an, da er seinen Sohn Leo auf eine private Eliteschule schicken will. Die Leidtragenden im Kampf um den schönen Schein sind die Kinder Charlotte und Leo. 

Elisabeth George zeichnet in ihrem achten Kriminalroman ein detailiertes Portrait der englischen Gesellschaft mit Charakteren, die unter ganz elementaren Konflikten und Zwängen leiden. Zum Beispiel, ob Karriere und Kind zu vereinbaren sind, ob Massenjournalismus und Aufklärung zu vereinbaren sind, ob man die eigene Vergangenheit zugunsten der Zukunft verleugnen darf. Im Angesicht des Feindes gibt darauf keine fertigen Antworten, aber es zeigt nach 730 Seiten, daß glaubwürdig zu bleiben allein schon eine verdammt harte Aufgabe ist. Ein psychologisch ausgefeilter Kriminalroman über den schönen Schein der Normalität und was passiert, wenn diese Fassade zufällig bröckelt. (cm)

Goldmann 1996, DM 17,90

krimi

Jean-Pierre Gattégno: Schnee auf den Gräbern

Eine schmucklose Aufmachung, ein nichtssagender Titel zieren das Buch: Wie will btb diesen grandiosen Kriminalroman an die Leser bringen? Hoffen wir, daß der geneigte btb-Kunde einen Blick auf den Klappentext wirft. Dort erfährt er den Ausgangspunkt einer wundersamen Geschichte, die im Pariser Mittelklassemilieu spielt. Der Psychoanalytiker Durand wacht eines Tages nach einer Sitzung in seinem Sessel auf – und ihm gegenüber liegt eine tote Olga Montignac. 

Natürlich ist ihm der Tod seiner Patientin peinlich, schließlich hat Durand geschlafen statt zugehört, schließlich weiß er nicht, wohin mit der Leiche. So versteckt er sie zunächst unter seiner Couch. Quälende Selbstintrospektion folgt: womöglich hat er seine Klientin selbst erwürgt? Womöglich haben ihn ihre erotischen Gewaltphantasien übermannt und er hat die Rolle des Ehemannes übernommen? Eine packende Recherche entwickelt sich, bei der Durand eine delikate Balance zu halten hat. Er muß Olgas Körper entsorgen und gleichzeitig seine Klienten weiter therapieren, möchte mit seinem Polizistenfreund Chapireau reden und läßt sich doch verleugnen, muß Olgas Ehemann finden ohne Verdacht zu erregen. Dazu kommt der Ärger mit lebenden Frauen, Durands Ex-Frau und seiner Geliebten, die sich beide kopfschüttelnd von ihm abwenden. Doch vor allem muß er aufdecken, was es mit dem gewalttätigen Ehemann der Toten auf sich hat, den er als Hauptverdächtigen sieht. Die psychoanalytische Schulung von Durand kann seine Hilflosigkeit nicht kaschieren. Er kann sich nicht länger hinter der Leiche, hinter seinem Kontrollanalytiker oder gelernten Phrasen verschanzen, und so geht er das Problem offensiv an. 

Ein starkes Buch, das, französischen Kriminalromanen eigen, mit psychologischem Scharfsinn gezeichnet und mit überzeugenden Personen besetzt ist. Lassen Sie sich nicht von Cover und Titel täuschen, lesen Sie, und Ihre Augen erblicken eine wundersame kleine Welt. (cm)

btb Taschenbuch DM 16


März 1999

Scott Smith: Ein ganz einfacher Plan
Georg M. Oswald: Lichtenbergs Fall
Zachary Klein: Die Lebenden und die Toten
Februar 1999 Olivia Kleinknecht: Liebeslohn
Donna Leon: A Noble Radiance
Tim Parks: Europa
Dietrich Schwanitz: Der Zirkel
Carl Hiaasen: Unter die Haut

Januar 1999

Carl Hiaasen: Lucky you

Dezember 1998

John McCabe: Stickleback
Ben Elton: Popcorn
Enrico Remmert: Looove never dies

November 1998

Benjamin v. Stuckrad-Barre: Soloalbum
Quim Monzó: Das ganze Ausmaß der Tragödie
Tom Zürcher: Högo Sopatis ermittelt

Oktober 1998

Jonathan Coe: Das Haus des Schlafes
Sherman Alexie: Indian Killer
Joseph T. Klempner: Spadafinos Verhängnis
James Hawes: Ein weißer Mercedes mit Heckflossen
[ home ]