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Elisabeth George: Im Angesicht
des Feindes
Kampf der Giganten: Die
konservative Politikerin Eve Bowen und der linke Skandalblatt-Chef Dennis
Luxford spielen mit dem Leben ihrer gemeinsamen Tochter Charlotte, die
spurlos verschwunden ist. Die alleinerziehende Mutter verdächtigt
Luxford, mittels ihres zehnjährigen Kindes die Regierung stürzen
und die Auflagenhöhe seines Schmierblattes in schwindelerregende Höhen
treiben zu wollen. Daher untersagt sie Luxford kategorisch, die Polizei
einzuschalten, hält sie ihn doch für den Strippenzieher hinter
der Entführung von Charlotte. Die beiden Elternteile, die seit ihrer
kurzen Affaire auf einem Tory-Parteitag vor elf Jahren keinen Kontakt mehr
zueinander hatten, einigen sich schließlich, Gerichtsmediziner Simon
St.James einzuschalten, der das Kind aufspüren soll. Die Nachforschungen
von St. James kommen zwar gut voran – kommen allerdings zu spät: das
Kind wird tot aufgefunden. Und nicht nur das: eine zweite Entführung
findet statt: Luxfords ehelichem Sohn Leo droht Charlottes Schicksal. Polizei
und die bewährte Truppe rund um St.James, Thomas Lynley und Barbara
Havers ermitteln im Dunstkreis von Politik und Medien. Als sich der Nebel
lichtet und der Fall gelöst ist, hat als wahrer Täter der Zufall
seine Hand im Spiel. Der Kampf der Giganten in Form der Staatssekretärin
Eve Bowen und des Boulevardmoguls Dennis Luxford entpuppt sich als Streit
zweier Machtmenschen, die die Grenzen ihres berechenbaren Einflusses schmerzhaft
zu spüren bekommen: Karrieren sind nicht kalkulierbar.
Ja, Im Angesicht des
Feindes ist ein Buch über das Zusammenspiel von Politik und Medien.
Es ist aber vor allem ein Buch über Korrumpierbarkeit und Kompromisse,
die, wenn sie auffliegen, den Rausschmiß aus dem warmen Nest von
Macht und Machern bedeutet: Bowen und Luxford müssen erkennen, daß
sie nicht glaubwürdig für die Ziele eintreten, für die zu
leben sie vorgeben. Bowens politische Phrasen für alleinerziehende
Mütter und hehre moralische Grundsätze schmecken schal, da sie
sich als zielstrebige Karrierefrau ohne jegliches Interesse am Tun und
Wohle ihres Kindes zeigt. Luxfords Phrasen gegen die konservative Regierung
muten heuchlerisch an, da er seinen Sohn Leo auf eine private Eliteschule
schicken will. Die Leidtragenden im Kampf um den schönen Schein sind
die Kinder Charlotte und Leo.
Elisabeth George zeichnet in
ihrem achten Kriminalroman ein detailiertes Portrait der englischen Gesellschaft
mit Charakteren, die unter ganz elementaren Konflikten und Zwängen
leiden. Zum Beispiel, ob Karriere und Kind zu vereinbaren sind, ob Massenjournalismus
und Aufklärung zu vereinbaren sind, ob man die eigene Vergangenheit
zugunsten der Zukunft verleugnen darf. Im Angesicht des Feindes
gibt darauf keine fertigen Antworten, aber es zeigt nach 730 Seiten, daß
glaubwürdig zu bleiben allein schon eine verdammt harte Aufgabe ist.
Ein psychologisch ausgefeilter Kriminalroman über den schönen
Schein der Normalität und was passiert, wenn diese Fassade zufällig
bröckelt. (cm)
Goldmann 1996, DM 17,90 |