[ februar 1999 ]
Den Liebeslohn streichen die Männer ein. / Die Entführung aus Venedig ist ein Fall für Guido Brunetti. / Europa ist ein Selbstbedienungsladen, erzählt uns Tim Parks; eine Liebes- und Leidensgeschichte. / Zwei Meister der komödiantischen Unterhaltung und der sprachlichen Vielfalt: Dietrich Schwanitz und Carl Hiaasen, machen den Auftakt der Neuvorstellungen im Februar. Beide Bücher, Schwanitz' Der Zirkel und Carl Hiaasens Unter die Haut
, sind von der deutschen Kritik zuwenig bedacht worden, wie wir finden.
Liebeslohn

Olivia Kleinknecht: Liebeslohn

Florenz im Sommer, das Ende einer Dreiecksbeziehung: Seniora Megalatti wird von ihrem Ehemann-Professor verlassen. Er wendet sich von der gemeinsamen Villa und dem standesgemäßen Leben ab und sich seiner Geliebten Guiletta zu. Ein Jahr später verläßt er auch seine ehemalige Studentin, die nun, mittel- und ratlos geworden, nach Rache sinnt. Da kommt ihr das sonderbare Angebot des Kollegen-Kunstprofessors Malvasio gerade recht. Guiletta ahnt nicht, auf welch düsteres Spiel sie sich einläßt. Am Schluß stehen Ehefrau und Geliebte vor dem gesellschaftlichen Aus, während die Männer triumphieren. Zu spät erkennt die Signora, daß der Liebeslohn bitter und eine Menage à trois die bessere Lösung ist: „Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn wir uns damals irgendwie arrangiert hätten", ruft sie Guiletta zu, die nicht den Mut hat zu widersprechen.

Ein Mann, zwei Frauen, viele Probleme. Die fatale Dreiecksbeziehung ist Thema vieler Romane und dient auch hier als Folie eines Kriminalfalls. Allerdings fehlt Liebeslohn das Anregend=Neue in der Menage à trois, das Spannend=Fesselnde im Kriminalroman und die Glaubwürdigkeit der Personen. Die Geschichte ist solide erzählt, vielleicht zu solide, und handwerklich genau. So läßt Kleinknecht beispielsweise Guiletta zwar stets und überall handeln (Guiletta eilte, Guiletta biß die Zähne zusammen etc etc); in Wahrheit ist Guiletta eine recht konturlose Marionette ohne eigenen Willen, die vom Wunsch, geliebt zu werden, gehetzt und gejagt wird. Merke: Männer haben das Heft des Handelns in der Hand, Frauen müssen leiden. Die Lektionen, die die beiden Frauen am Ende der Geschichte gelernt haben, sind so einfach und direkt gehalten, daß jeder kritische Impuls verloren geht. Trotzdem ist Liebeslohn gute Unterhaltung. (cm)

Frankfurter Verlagsanstalt, Hardcover 1998, DM 38

 
Donna Leon: A Noble Radiance

Donna Leon: A Noble Radiance

In einem kleinen Dorf am Fuße der Dolomiten wird eine stark verweste Leiche entdeckt. Ein Ring, der bei dem Toten liegt, deutet darauf hin, daß es sich um den entführten Sohn einer reichen venetianischen Adelsfamilie handelt. Das Verbrechen liegt viele Monate zurück, und so muß auch Commissario Brunetti, der ermittelnde Polizist in Venedig, weit in die Vergangenheit zurückgehen, um ein Motiv für den möglichen Mord zu entdecken. Erst nachdem er das fivol=triste Leben des blaublütigen und reichen Roberto Lorenzoni nachgezeichnet hat, enthüllt sich ihm der Blick auf eine tragische Familienverstrickung, dunkle Schiebereien und neidischen Konkurrenzkampf in Venedigs prominentestem Geschlecht.

Heutigen Leserinnen und Lesern ist wohl kaum ein Polizist so gut bekannt wie Guido Brunetti, der ruhige und besonnene, durch-und-durch venetianische Star-Ermittler in Donna Leons Kriminalbüchern. In der Tat lebt Leons Venedig von dieser einen Person, von Brunettis Glaubwürdigkeit und seiner Integrität, die er täglich unter Beweis stellt. Brunetti ist die Inkarnation von Moral und Gesetz, von Familienglück und Vaterfreud und -leid, von Idealismus und Überzeugungskraft. Ein weniger standhafter als Brunetti hätte längst schon der italienischen Korruption, die Donna Leons Welt prägt, nachgegeben und sich mit dem Unheil in der Welt abgefunden. Nicht so Brunetti: er glaubt zwar nicht an die bessere Welt, wohl aber daran, daß er sie bessermachen kann. Sein Beruf ist Berufung: „I get caught up in trying to find the people responsible for bad things, not just for illegal things, or I keep thinking about the difference and believing both are wrong." Donna Leon hat unlängst in einer Besprechung von Minette Walters Wellenbrecher die Selbstsucht der Menschen als das gemeinsame psychologische Element vieler Verbrechen bezeichnet: „Gleich, ob sie sich als Täter oder nur als Verdächtige entpuppen, alle haben diesen Geruch von fröstelnder, monomanischer Selbstsucht, die die Wurzel es eigentlichen menschlichen Bösen ist." Kein Buch könnte das wohl deutlicher vor Augen führen als Donna Leons A Noble Radiance; kein Kommissar diese Selbstsucht unverblümter anprangern als Commissario Guido Brunetti. Donna Leon ist einmal mehr ein sehr sensibles Sozialportait gelungen, das mit feinen Strichen die verfallende Schönheit Venedigs und seiner kleinen Gesellschaft skizziert. (cm)

Donna Leons Romane erscheinen im Diogenes Verlag

Donna Leon: A Noble Radiance, Random House, hardcover £ 15.99,DM 18.50 bei buecher.de


 

Tim Parks: Europa

Die heilige Kuh, die zu melken sich heute ein jeder anschickt, heißt Europa. Pralle Geldtöpfe, bestechliche Beamten, undurchsichtiger Papierwust und fehlende demokratische Kontrolle laden dazu ein, in den vereinigten Staaten von Europa einen Selbstbedienungsladen für Politiker, Beamte und Landwirte zu sehen – auf Kosten ungefragter Bürgerinnen und Bürger, die unter der Zwangsvereinigung zu leiden haben. So jedenfalls nimmt sich das Europa aus, das Tim Parks skizziert: jeder sucht die Vorteile, niemand will Verantwortung übernehmen. Unerhörtes ist passiert: Universitätslektoren soll die Lehrgenehmigung beschnitten werden. Prompt organisiert deren Vereinigung in Italien eine Reise „nach Europa", um eine Petition im europäischen Parlament einzubringen, die das Unrecht gegen die internationalen Lektoren einstellt.

Mit von der Partie ist Jeremy Marlow, der, von Selbstzweifeln und Liebesschmerz zerfressen, eigentlich gar keinen Sinn für die zweitägige Bus(tor)tour hat. Er haßt seine Arbeit, die er seit zwölf Jahren erledigt, haßt seine Frau, die er verlassen hat, und liebt die junge Kollegin, die er einer lesbischen Beziehung zu seiner Tochter verdächtigt. Zu allem Überfluß haßt er moderne Reisebusse: „Ich sitze rechts neben dem Mittelplatz der langen Rückbank eines modernen Reisebusses, der quer durch Europa fahren wird. Das an sich ist bereits ungewöhnlich. Denn ich verabscheue Busse, habe Busse immer verabscheut, und ganz besonders verabscheue ich moderne Reisebusse", eröffnet Marlow die Geschichte.

Auf dem Rücksitz des Busses, von seinen männlichen Kollegen „Bumskutsche" genannt, breitet er sein verflossenes Liebesglück aus; eine traurige Geschichte, die in der Sprachlosigkeit des Berufsübersetzers gipfelt: er schickt der Geliebten abgeschriebene Liebesgedichte zu und kann selbst damit nicht mehr ihr Herz gewinnen. Distanziert und spöttelnd betrachtet Marlow das Reiseunternehmen, dessen schlecht verdecktes wahres Ziel nicht die windige Petition einzubringen ist, sondern die Eitelkeit der alternden Herren wiederherzustellen zu sein scheint, indem sie bei der studentischen weiblichen Begleitung billige Triumphe einfahren: Europa ist degeneriert zur Suche persönlicher Vorteile. Ob man eine Petition einbringt, um eigene Vorteile zu retten, ob Studentinnen international verführt werden oder ob man ins Heimatland reist, um dort kostenlos den National Heath Service zu konsultieren – die europäische Einigung existiert allenfalls noch in der Verständigung über die Vorteile. Das Nullsummenspiel wird erst entdeckt, die Reisegesellschaft wacht erst auf, als einer der ihren zu Tode kommt.

Parks malt ein düsteres Bild von Europa und von dem Alltagsleben an der Universität von Verona. Sein deprimierter Held ist die Inkarnation gescheiterter Männlichkeit und eitlem Berufsethos. Kein schöner Ausblick auf den Binnenmarkt, kein schöner Ausblick auf ein unbeschwertes Leben „zwischen den Welten". Schwanitz (Der Campus, Der Zirkel) will uns lehren, daß politische Korrektheit sinnenfeindlich ist und zu intellektuellen Blockaden, weil Denkverboten, führt. Parks zeigt uns, daß der Umkehrschluß gleichfalls nicht funktioniert: ein frivoles und politisch unkorrektes Leben verheißt nicht Glück und Erfüllung. (cm)

Kunstmann Verlag, Hardcover 1998, DM 39,80

 
Schwanitz: Der Zirkel

Dietrich Schwanitz: Der Zirkel

Daniel Dentzer hat eine Dissertation verfaßt über die Liebe, ein streng wissenschaftliches Traktat „Liebe und Konflikt", das ihn zugleich zum Doktor der Politik und zum persönlichen Referenten des Hamburger Wissenschaftssenators emporschnellen ließ. Er ist wahrer Experte in Wissenschaft, Politik, Emotion; Wanderer zwischen den Welten der Hochschule, des Senats und der Liebe, und so ist es nur folgerichtig, daß Schwanitz ihn zur Hauptfigur seines neuen Romans Der Zirkel kürt. Eine romantische Komödie verspricht Schwanitz, doch Der Zirkel ist zugleich so etwas wie ein Entwicklungsroman. Sein Held Dentzer beginnt jung und idealistisch und er endet gut-bürgerlich und arriviert. Dazwischen liegt das ganze Spektrum der agglomerierten Ingrigen aus Politik und Hochschule und seiner Lehren.

Die Geschichte: Die Vorsitzende des AstA Hannah Krakauer kommt bei einem Go-In gegen einen vermeintlich extremistischen neuen Professor Schneider bei dessen Antrittsvorlesung ums Leben. Hannah ist Jüdin. Daniel Dentzer, amourös mit ihr verbandelt, recherchiert im Auftrag von Wissenschaftssenator Weiss, ob Schneider ein Aufschneider ist und ob Hannahs Tod Zufall war. Universitätsleitung, Frauenbeauftragte und Studenten tragen mehr zur Verwirrung denn zur Klärung bei, und so stützt sich Dentzer auf die journalistische Hilfe in Gestalt der wunderbaren Vanessa. 

Titelklau, Vertuschung, Stasi-Verstrickungen, falsche Juden, falsche Professoren, falsche Liebesbriefe – alles hat seinen Platz in Schwanitz Roman. Zugegeben, ist er ein Parforceritt durch die Klischees, die an Senatoren und Professoren kleben. Doch wiewohl Schwanitz mit kruden Übertreibungen arbeitet – virtuos läßt er Daniel das Hohelied auf die Liebe singen, grandios sind die machtstrategischen Schritte von Hochschulsenator Weiss gezeichnet –, beruht seine romantische Analyse und seine komische Kritik von beiden Machtsystemen ganz & gar auf einem wahren Kern. Schwanitz entpuppt sich nach Der Campus einmal mehr als intimer Kenner von Machtsystemen und als Autor, der seine Kritik in wunderbar unterhaltsamen und absurd überspitzten Geschichten zu verpacken weiß. Sein beißender Spott der political correctness aus Der Campus ist in Der Zirkel einer umfassenderen Würdigung von Machtmachenschaften gewichen, was den Zirkel auch für die politische Avantgarde leichter lesbar macht.

Der Zirkel zeugt nicht zuletzt von Schwanitz großer Formulierungskunst; selten habe ich einen breiten Wortschatz so treffsicher eingesetzt gesehen, eine Geschichte so kunstvoll erzählt gelesen. Eine lebendige Welt, eine reale Welt, die Schwanitz zeichnet. – Und sollte ich einmal Kummer in der Liebe haben, dann werde ich gewiß bei Daniel Dentzers „Liebe und Konflikt" um Rat und Trost suchen. (cm)

Eichborn, Hardcover 1998, DM 44

Carl Hiaasen: Unter die Haut

Am vierten Januar kam die Sonne heraus, und Dr. Rudy Graveline lächelte. Sonne war sehr gut für sein Geschäft. Sie but und briet und zerfraß Haut und Fleisch im Gesicht und säte in den Poren bösartige, mikroskopisch kleine Krebsgeschwülste, die irgendwann zu wuchern beginnen würden und dann entfernt werden müßten. Dr. Rudy Graveline war plastischer Chirurg, und er freute sich aufrichtig, die Sonne zu sehen.

Graveline ist nicht nur Chirurg – und ein mieser obendrein –, sondern auch ein böser Schurke. Er hat eine fließbandgleiche Schönheitsfarm, um Geld zu scheffeln. Selbstredend, daß das Wohl der Patienten eine untergeordnete Rolle spielt. Ein schlecht vertuschter Todesfall soll ihm jetzt zum Verhängnis werden. Darum muß Mick Stranahan, frühpensionierter Ermittler von damals, eliminiert werden, ehe die Wahrheit ans Licht und Graveline hinter Gitter kommt. Doch Stranahan verkörpert das Gute, und so hat es Graveline schwer, ihn aus der Welt zu schaffen. Der Ex-Ermittler ermittelt auf eigene Faust und mit eigenen Methoden, die so unorthodox wie erfolgversprechend sind, was hinter Graveline, seiner früheren Krankenschwester, einer verbrechengeilen Kameracrew und unzähligen dumpf=dummen Schurken steckt, die Stranahan das Leben im schönen Florida zur Hölle machen. 

Unter die Haut ist einer der packendsten Thriller von Carl Hiaasen. Thriller und Farce, Spannung und Groteske, Action und Witz weiß Hiaason so gekonnt zu verbinden, daß man das Buch in einem Zuge verschlingt. 

Elster Verlag, Hardcover 1997


Januar 1998

Carl Hiaasen: Lucky you

Dezember 1998

John McCabe: Stickleback
Ben Elton: Popcorn
Enrico Remmert: Looove never dies

November 1998

Benjamin v. Stuckrad-Barre: Soloalbum
Quim Monzó: Das ganze Ausmaß der Tragödie
Tom Zürcher: Högo Sopatis ermittelt

Oktober 1998

Jonathan Coe: Das Haus des Schlafes
Sherman Alexie: Indian Killer
Joseph T. Klempner: Spadafinos Verhängnis
James Hawes: Ein weißer Mercedes mit Heckflossen

September 1998

Larry Baker: Feuerzauber
Fred Beinersdorfer: Das Biest
Petra Würth: Unter Strom
Carl Djerassi: NO
Herbert Rosendorfer: Ungeplante Abgänge

August 1998

John Burdett: Eine private Affaire
David Huggins: Der grosse Kuss
Nicholas Blincoe: Acid Killers
Martin Amis: Interview, 1999 und eine Website
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