[ neues im dezember 1998 ] |
Zum Jahresende präsentieren wir Ihnen eine bunte Mischung von Titeln von durch und durch europäischen Autoren : Looove never dies des Turiners Remmert, Stichling von John McCabe, Popcorn von Ben Elton. |
Ben Elton: PopcornSchnelle Schnitte, rasante Szenenwechsel: Am Morgen danach sitzt Bruce Delamitri, Oskar-dekorierter Kultfilmmacher bei der Polizei, ein Wrack. Schnitt. Am Morgen davor hatte Bruce Delamitri mit postmodernem Gequatsche in einer Morgentalkshow geglänzt. Schnitt. Am Morgen danach wird eine junge Frau von der Polizei verhört, eine Mörderin? Schnitt. Am Abend zuvor hatte die junge Frau mit Delamitri-Fan und Brutalo Wayne, ausgerechnet Wayne!, in einem Motel den Eifersucht provozierenden Koch des Etablissements niedergemetzelt. - Was ist passiert? Davor und danach?Delamitri produziert Kultfilme, gewalt- und sexdurchtränkte Portraits von Ordinary American, wie er betont: er spiegelt die Welt, sonnt sich im Glanze dieses Spiegels. Delamitri glaubt nicht, daß der Spiegel widerspiegelt. Doppelt spiegelt. Den Vorwurf der Medien, die Morde, die Amerika erschüttern, seien Copy-Cat-Morde, ist völlig abwegig. Er soll die Verantwortung der Gesellschaft für ihre Monster schultern. Seine Filme als Vorlage für die Realität? Unmöglich. Niemals! Wayne produziert Gewalt. Er zieht sich jeden Delamitri-Streifen über fünfzigmal rein, kennt jede Szene, lebt jede Szene nach. Der bewundernde Blick seiner "Zuckerschnecke" ist Echo seines Egoismus, seiner Gewalt, ist sein Spiegel. Gemeinsam ziehen sie durch das Kleinstadtamerika, eine Spur der Verwüstung und der Brutalität hinterlassend, ein Abziehbild Delamitris Filmsequenzen. Unaufhaltbar rasen die beiden Realitäten aufeinander zu. Showdown ist die Nacht nach der Oskar-Verleihung, in Bruce Delamitris Haus treffen der Kultstar und sein Fan, der Aufsteiger und der Outcast aufeinander. Wer behält recht? Sind Delamitris Filme billige Vorlage für die Copy-Cat-Morde? Oder sind sie eine Entschuldigung für Wayne? Amerika wird sich selbst erkennen, verkünden die Reporter des Showdowns. Eltons Buch ist durchtränkt von bitterer Ironie, ist grotest überzogen und grandios verzerrt, ist komisch und wild und bunt und schnell. Realität und Reminiszenz, Film und Fantasie verschmelzen, die Helden folgen der selben Moral, Medien, Macher und Mörder sitzen an einem Tisch. - Doppelte Ironie ist, daß Elton seinen beiden Helden schon früh die Moral in den Mund legt: Bruce sagt: "Das war mein Plädoyer. Das habe ich gesagt. Nicht: 'Tut mir leid, Euer Ehren, ich bin ein unverantwortlicher Sack', sondern 'Ich kann nichts dafür, ich bin eine suchtgefährdete Persönlichkeit! Ich hatte ein Problem." Und Wayne sagt: "Du wirst sagen, daß wir 'Produkte einer Gesellschaft sind, die der Gewalt huldigt.'" Letzte Ironie: Ben Eltons Popcorn feiert in der literarischen Welt die Erfolge, die den Kultregisseur Bruce Delamitri in seinem Buch zu Fall bringen. Ein Buch, über das alle Welt redet, und zurecht. Manhattan 1998, Taschenbuch, DM 20 |
Enrico Remmert: Looove never diesZwei Nullen zuviel. Love ist Love, selbst in Italien. Da sind die Jungs zwar cooler und die Mädels heißer, aber die Pubertät dauert auch nicht bis 24. So alt ist die Hauptfigur in Looove never dies. Vittorio ist Student und Partygänger, 24 Jahre jung, Gelegenheitsjobber und auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, der ihn mit Alice abhanden gekommen ist. Wiedereinquartiert bei Mammi und Pappi, skurrile Freunde an seiner Seite und mit dem neuen Problem Gulia, die auf der selben Insel gestrandet ist wie er (!?!), kann er wildfremden Leuten die allesentscheidende Frage stellen: „Entschuldigen Sie, aber was hält Sie eigentlich am Leben?" Oder er kann der Apothekersfrau wahnsinnig kryptisch mitteilen, was er möchte: keine Pillen, keine Drogen (die hat er nämlich schon intus), nein: „Schlafen" möchte er, unser Held. Genug! Genug des coolen Gebrabbels eines heranwachsenden Jünglings. Genug der Exzesse und Angebereien der Studenten, die sich vor Selbstsicherheit überschlagen und die sich drum der Autor nicht ironisch zu durchbrechen oder zu kommentieren wagt.Klappen wir das Buch zu und vergewissern wir uns mit einem Blick auf den Schutzumschlag: Remmert hat für seinen Roman Preise für junge Literatur "Unter 30" eingeheimst. Mit knapp über 30 ist der Autor noch jung. Das und sein Job als Marketingfachmann mögen erklären, warum er seine Nähe zum Sujet so distanzlos ist, daß dem gelernten Soziologen die Genrebilder zu Schablonen gerinnen. ''Den Roman einer ganzen Generation, vor der das Leben wie ein offenes Buch liegt', habe der Remmert geschrieben, teilt uns der Verlag mit. 'Ein offenes Buch, aber auf chinesisch.' Wie wahr! Schade nur, daß die meisten Leser – zumindest dieses – Chinesisch nicht verstehen werden. Looove never dies wird begeistern, wer sich seiner Jugend vergewissern will und auf die Buchstabenfolgen – Schlüsselreizen gleich – Saint-Exupéry, Rave und Lebenssinnkrise positiv reagiert. Am besten auf alle, am besten mit Identifikation. Kunstmann 1998, Fester Einband |
November 1998 |
Benjamin v. Stuckrad-Barre: Soloalbum
Quim Monzó: Das ganze Ausmaß der Tragödie Tom Zürcher: Högo Sopatis ermittelt |
Oktober 1998 |
Jonathan Coe: Das
Haus des Schlafes
Sherman Alexie: Indian Killer Joseph T. Klempner: Spadafinos Verhängnis James Hawes: Ein weißer Mercedes mit Heckflossen |
September 1998 |
Larry Baker: Feuerzauber
Fred Beinersdorfer: Das Biest Petra Würth: Unter Strom Carl Djerassi: NO Herbert Rosendorfer: Ungeplante Abgänge |
August 1998 |
John Burdett: Eine
private Affaire
David Huggins: Der grosse Kuss Nicholas Blincoe: Acid Killers Martin Amis: Interview, 1999 und eine Website |
Juli 1998 |
James Lee Burke: Cimarron
Rose
Morton Harry Olsen: Die Osiris-Morde Iain Banks: A Song of Stone Elmore Leonard: Zuckerschnute Donna Masini: Alles über Yvonne James Crumley: Jeder gräbt sein eigenes Grab Anonymous: Mit aller Macht |