[ november 1999 ]

Kein Buch für Wolfgang Schweiger

Sechs Jahre ist es her, daß ich für Das Narrenschiff eine Besprechung von Wolfgang Schweigers Abschied in der Nacht schrieb, eine euphorische, die das Buch als einen "der besten Kriminalromane deutscher Sprache" pries. Und am alten Urteil gibt es auch heute nichts zu rütteln - heute nach der Lektüre von Schweigers neuestem, wiederum bei Haffmans erschienenen, Roman Kein Job für eine Dame.

Mittelmäßige Bücher zu lesen, ist nie eine Freude, aber Mittelmaß aus der Feder eines Autors, den man einmal mehr als schätzte, das tut weh. Natürlich, ganz verlernt hat Schweiger das Schreiben nicht, und so ist der Plot nicht übel ausgedacht, und bei vielen der Dialoge denkt man, daß das ziemlich gut hingehört ist. Damit hat es sich dann aber auch, denn weder ist die Geschichte von der Privatdetektivin, die zu einem Mord benutzt wird und dann auf Rache sinnt, überzeugend umgesetzt, noch ist der Erzähltext mit Freude zu lesen. Und beides hat dieselbe Ursache: Schweiger hetzt über die 200 Seiten, als hätte ihm jemand eine Pistole auf die Brust gesetzt. Für Konjunktionen scheint er dabei ebenso wenig Zeit zu haben wie fürs Plausibelmachen der vielen Wendungen, die die Story nimmt. Und genauso, wie er Sätze ohne Subjekte schreibt, kommt die Geschichte ohne Charaktere daher. Und so wirkt Kein Job für eine Dame wie ein Rohentwurf, in dreivier Tagen runtergerissen, um vielleicht später noch einmal ernsthaft daran zu arbeiten. 

Daß dies unterblieb, ist schade und auch dem Zürcher Lektorat vorzuwerfen. Wobei sich bei jenem ohnehin die Frage stellt, ob es je mehr als nur einen Blick in das Manuskript geworfen hat. Wie sonst kann es passieren, daß im Klappentext des Paperbacks von einem Bandenkrieg die Rede ist, ohne daß es im Buch auch nur eine Bande gäbe, geschweige denn eine Auseinandersetzung zwischen zweien? 
(jw)

Wolfgang Schweiger: Kein Job für eine Dame
Haffmans Verlag, Taschenbuch 1999

Antonio Tabucchi: Der verschwundene Kopf des Damasceno Monteiro

Ein Bestseller wie Erklärt Pereira, der einhellige Lobeshymnen, Bühnenaufführung und Verfilmung nach sich zog, lähmte schon so mancher Autoren Schaffenskraft. Antonio Tabucchi aber bewies vor zwei Jahren mit seinem Pereira-Nachfolge-Krimi das Gegenteil. Der verschwundene Kopf des Damasceno Monteiro erscheint jetzt als Taschenbuch.

In einem Stadtpark der portugiesischen Metropole Porto wird die Leiche eines jungen Mannes gefunden, genauer gesagt: nur der Rumpf. Den Kopf – säuberlich mit dem Elektromesser abgetrennt – fischt man Tage später aus dem Douro. Der junge Journalist Firmino soll die Hintergründe des abscheulichen Verbrechens recherchieren. Über die kryptischen Aussagen eines alten Zigeunerkönigs, die Vermittlungen seiner Pensionswirtin und anonyme Hinweise einer furchtsamen Stimme am Telefon gelangt Firmino an Informationen, die der staatlichen Polizeibehörde offensichtlich bewußt vorenthalten werden.

Den Mittelteil des Romans beherrscht die Figur Don Fernando, ein Anwalt der Kleinen Leute, der sich des Falles annimmt und Firmino bei der Wahrheitsfindung im Stile sokratischer Dialoge über den Angolakrieg, Flaubert und die bigotte Justitia in Portugal belehrt. Antonio Tabucchi inszeniert seine stärkste Figur wie einen Mynheer Peeperkorn: egozentrisch, philosophisch und gewaltig in rhetorischer wie physiologischer Hinsicht. Über Don Fernando schafft er es auch, das Krimisujet in eine politische Dimension zu setzten. Eine selten gewordene Großmannstat, die Tabucchis gewohnte literarische Wertarbeit noch unterstreicht.
(vmn)

dtv, 1999, 249 S., DM 16,90


 

Zu Tier und Tiefe

Eine Neuausgabe des Der armen Verschwender hebt Ernst Weiß in eine Ehrengalerie der „Romane des Jahrhunderts"

Und da steht er nun, Buchrücken an Buchrücken mit Proust, Joyce, Brecht und Kafka: Ernst Weiß mit seinem erstmals 1936 erschienenen Exilroman über jenen bemitleidenswerten Tropf, der zeitlebens nicht aus dem Schatten seines Übervaters herausfindet. Minutiös schildert der Ich-Erzähler die Umstände seines ersten Disputs mit dem vergötterten Vater, einem angesehenen Augenarzt im letzten Jahrzehnt der Donaumonarchie. Erzählt wird sodann von Mutterwärme und Vaters Patienten, von schlechten Schulnoten des Zwölfjährigen, später dann vom Internat, von Dummejungenstreichen und der väterlichen Geringschätzung des Schulabschlusses, von ersten Küssen, die keine sind, weil der Siebzehnjährige sie sich als Sünde verbietet, vom hart erkämpften Medizinstudium und dem irreparablen Bruch, den der 1. Weltkrieg im Leben einer aufstrebenden Generation hinterläßt.

Ein Entwicklungsroman, ein Arztroman, eine Familiensaga und das lebendige Bild eines Epochenwandels. Ernst Weiß steht mit Der arme Verschwender, einem reifen Spätwerk des 1940 im Freitod Verstorbenen, auch für den Wandel von Expressionismus zu literarischem Realismus. Das ständige Scheitern der Hauptfigur, die drückende Melancholie im Schreiben erinnert in vielem an Gottfried Keller, die vollendete Seichtigkeit, der gleichmütige Tonfall an Stefan Zweig.

Doch klingt all dies schlimmer als es ist. Abgesehen vom verlegerischen Kalkül – Der arme Verschwender wird nicht deswegen zurecht in eine Reihe „Romane des Jahrhunderts" aufgenommen, weil er eine so oder anders geartete Stellung in der Literaturgeschichte einnimmt, sondern weil er auch den heutigen Leser noch außergewöhnlich zu bereichern vermag. In welcher „modernen" Belletristik kann man sich denn auf wohltuenden 500 Seiten in die Widersprüche einer literarischen Figur wie der unvergessenen Valy verlieben? Wo darf man sich denn noch ganz unverkrampft dem Entstehen eines faschistoiden Wahns widmen, wie ihn Weiß in seinem Perikles so lebensnah konterkariert? Heinrich Mann traf es genau: „Die Werke des Dichters Ernst Weiß weiten das Herz, da sie das Gebiet des Menschen erweitern: nach unten zu Tier und Tiefe, nach oben zum Geist."
(Volker Maria Neumann)

Suhrkamp, 1999, 498 S., DM 24,80
ISBN 3-518-39504-1


Oktober 1999

Bill Fitzhughes: Der Kammerjäger
Pop!
Von Wahn & Tod: Weimarer Wahn, Nacht in Havanna, Pomeroy, Sau tot

September 1999

Christoph Peters: Stadt Land Fluß
Marcus Braun: Delhi

August 1999

Mitchell Smith: Reprisal

Juli 1999

Holly-Jane Rehlens: Mazel Tov in Las Vegas
Jay McInerney: Letzter Schrei

Juni 1999

Michael Chabon: Wonder Boys
Rupert Thomson: Soft
Jim Dodge: Not fade away

April 1999

Harold Nebenzal: Der Löwenkult
Elisabeth George: Im Angesicht des Feindes
Jean-Pierre Gattégno: Schnee auf den Gräbern

März 1999

Scott Smith: Ein ganz einfacher Plan
Georg M. Oswald: Lichtenbergs Fall
Zachary Klein: Die Lebenden und die Toten