[ oktober 1999 ]
Im Oktober lesen Sie über einen Kammerjäger, der für einen Killer gehalten wird, über die großartigste Anthologie nach dem Narrenschiff, über Weimarer Wahn und Tod in der Jauchegrube.
 

Bill Fitzhughes: Der Kammerjäger

Wirf die Ketten der Lohnarbeit ab, kleiner Käferjäger, and live your dream! möchten wir dem armen Kakerlaken-Killer mit dem verheißungsvollen Namen Bob Dillon schon zu Beginn des Buches zurufen. Mach etwas aus Deiner tristen Existenz in der großartigen Stadt New York. Mach Deine Ideen zu Geld. Mach Dich frei. Und in der Tat, Bob scheint uns zu hören: er kündigt dem bösen Chemie-Ex, der seine Arbeitskraft usurpiert und seinen Gesundheit ruiniert. Er kündigt, weil er einen Traum hat. Den Traum von der chemiefreien Schädlingsbekämpfung, den Traum von den biologischen Mordwanzen, die ihre kleinen Mitkreaturen Kakerlake töten. Einen Traum, der völlig unrealistisch ist und den er trotzdem tapfer in seinem Darwin’schen Genlabor im kleinen Reihenhäuschen allabendlich weiterentwickelt. Er kreiiert Mordmonster, damit er eines schönen Tages mit seiner Frau Mary und seinem pfiffigen Kind in einer natürlichen Umwelt leben und Kakerlaken auf natürlichem Wege bekämpfen kann. Bis dahin ist’s aber ein weiter Weg.

Der Käferkiller Dillon gerät ins Fadenkreuz mächtiger Männer, die richtige Killer – also Menschenkiller! – sind und Bobs Angebot einer neuen Methode effektiver Schädlingsbekämpfung gründlich mißverstehen: Sie sehen in Bob einen Berufskollegen, der ihnen den Schneid abjagt und zum Killer Nummer eins werden will. Also muss er weg. Bob hat sich an zwei Fronten zu bewähren, um den Weg in die Selbständigkeit frei zu machen: die Killer abschütteln und die biologische Allzweckwaffe entwickeln. Und da helfen ihm nicht nur  seine Mordwanzen.

Der Kammerjäger ist eine spritzige Verwechlungskommödie, und so rührend erzählt, dass man fast, aber nur fast die große Liebe des Bob Dillon aus New York zu seinen kleinen Käfern nachempfindet.
(cm)

Scherz Verlag 1999, fester Einband, 39,90 DM

Pop!

Mit Anthologien ist das so eine Sache. Die meisten sind verstaubt und langweilig, und von den wenigen, die es nicht sind, ist die Mehrzahl durchwachsen. Nicht so POP!, herausgegeben von Bela Stern und Julian Weiss und soeben erschienen in der neuen Lemon-Reihe bei Knaur. Fünfzehn brandneue Kurzgeschichten, zwei Essays und zwanzig Listen - von den zehn Dingen, die in keiner Büroapotheke fehlen dürfen, über die magischsten Dancetracks und die ultimative Garage, bis hin zu den großen Bücher-, Film-, und Tonträgerlisten, die versammeln, was man schon immer hätte lesen, sehen, hören müssen, ohne es gewußt zu haben. Und unbedingt zu lesen sind die Stories, die der Band versammelt. Es gibt keine bessere Auswahl zur Zeit. Egal ob sie von Arrivierten kommen, wie von Ethan Coen, der schreibenden Hälfte der Coen-Brüder, die uns zuletzt den großen Lebowski beschert haben, oder Nick Hornby, dessen Frage des Willens einen zu Tränen rührt, oder von hierzulande (noch) Unbekannten wie Michael Knight, der von Papageien und beinahe aussichtsloser Liebe in Alabama erzählt, oder von Lana Citron, deren Fickliste so sitzt wie ein Tritt in die Magengrube, allesamt sind es Geschichten, die den Leser mit einer Befriedigung erfüllen, die nachhallt und süchtig macht, so daß man, sind die 360 Seiten POP! ausgelesen, gleich losrennen mag, um sich mehr zu besorgen von den versammelten Autoren - zu denen neben den schon genannten auch Alex Garland, Rick Moody, Jonathan Coe und Geoff Nicholson gehören - und sich ansonsten für das neue Jahrtausend nur wünschen mag, daß es so bald so beginne wie es eben endet: Mit einem neuen Band voll Pop!
(cm)

Droemer Knaur Verlag, Taschenbuch, 1999, DM 18,00


  

Von Wahn & Tod

Vier Romane kurzbelichtet

Einen ausgefallenen Beitrag zum Goethe-Jahr liefert Otto A. Böhmer mit Weimarer Wahn bei btb: Schriftsteller Anatol Legat vertritt mit Vehemenz die These, daß Goethes Alterswerk nicht von ihm selbst stamme. Und dies werde er in seinem Buch Weimarer Wahn beweisen. Das einzige aber, was bald darauf schlüssig bewiesen ist, ist, daß Legat nicht nur Freunde hatte. Man findet ihn ermordet ...

Kriminell geht es erwartungsgemäß auch in Martin Cruz Smiths lang ersehnter Fortsetzung von Gorki Park zu. Nacht in Havanna, jüngst bei C. Bertelsmann erschienen, bringt Arkadi Renko zurück, und zwar nicht unbedingt glücklicher als damals. Nur eine Aufgabe hält ihn noch beisammen: das Verschwinden seines Lieblingsfeindes aufzuklären, der sich zuletzt in Castros Kuba aufhielt. 

Brian Castro ist weder verwandt noch verschwägert mit Fidel, und sein Thriller, Pomeroy (bei Klett-Cotta), spielt auch nicht auf Kuba sondern in Hongkong, wohin es den Journalisten Pomeroy im Auftrag seiner Zeitung verschlagen hat. Den Tod eines Kollegen gilt es zu ermitteln, und die erste Spur führt in das Penthouse eines Diplomaten. Als Pomeroy dort plötzlich in eine Kamera blickt, fürchtet er, das Spiel sei aus. Statt dessen beginnt es aber erst. Denn die Kamera ist keine Überwachungskamera. Sie ist fixiert. Auf ein Bett. Und die Kassetten, die Pomeroy gleich darauf in die Hände fallen, verraten ihm warum: "ein pas de deux, zwei Vaginas, ein After. Schamhaar, dunkles und blondes. Lippen. Und plötzlich Blut. Es war raffiniert. Um eine dieser Personen zu erkennen, hätte ich sie ausziehen müssen." In Wirklichkeit ist aber alles natürlich noch viel raffinierter. Und gefährlicher auch.

Gefährlich wird es ebenfalls für Daria Köttelgruber - als nämlich ihr Mann, der Schweinezüchter Franz-Josef, dahinter kommt, daß sie nicht nur ein Verhältnis mit ihrem Frisör hatte. Von dem hört Franz-Josef, den Daria nicht mehr ranläßt, weil er nach Schwein stinke, gleich zu Beginn von Walter Wolters bei Haffmans erschienem Buch Sau tot, und ein gutes dutzend Seiten später wird er im Designerjackett von Stallknecht Jürgen in der Jauchegrube zu Tode getunkt. Aber die Köttelgrubers Erleichterung ist nicht von Dauer, denn da ist auch noch der Musiklehrer, Darias Detti-Frosch ... Kein Wunder also, wenn am Ende noch andere sautot sind. (sh)

Weimarar Wahn, btb 1999, DM 15,-
Nacht in Havanna, C. Bertelsmann 1999, DM 44,-
Pomeroy, Klett-Cotta 1998, DM 38,- 
Sau tot, Haffmans, DM 18,90


September 1999

Christoph Peters: Stadt Land Fluß
Marcus Braun: Delhi

August 1999

Mitchell Smith: Reprisal

Juli 1999

Holly-Jane Rehlens: Mazel Tov in Las Vegas
Jay McInerney: Letzter Schrei

Juni 1999

Michael Chabon: Wonder Boys
Rupert Thomson: Soft
Jim Dodge: Not fade away

April 1999

Harold Nebenzal: Der Löwenkult
Elisabeth George: Im Angesicht des Feindes
Jean-Pierre Gattégno: Schnee auf den Gräbern

März 1999

Scott Smith: Ein ganz einfacher Plan
Georg M. Oswald: Lichtenbergs Fall
Zachary Klein: Die Lebenden und die Toten