Jonathan Coe: Das Haus des
Schlafes
‘I had a dream about a hospital
once’, sagt Robert, als er mit Freund Terry und dessen Freundin Lynne
nachmittags um drei im Auto sitzt, im Auto, das am Straßenrand steht,
weil der Regen nur so runterhaut und die Scheibenwischer ihre Dienste versagen.
Terry ist Filmstudent und schläft vierzehn Stunden jede Nacht, während
denen er die schönsten Träume träumt, denn Terry träumt
perfekte Träume.
‘I hardly ever dream these
days’, sagt Robert und schweigt danach, aber dann fällt ihm der
eine Traum ein, geträumt vor langer Zeit, als er acht war oder neun,
und er erzählt: ‘... I'm in this very arid landscape, very hilly
and dusty. And there's this woman, a middle-aged woman, in a nurse's uniform,
and she's standing by the side of the road, pointing: pointing off into
the distance. There's a big building somewhere ahead of us on the road
that's where she's pointing at. I can see it faintly, and I know it's a
hospital. Some sort of military hospital, actually. And just behind her
there's a notice. She's standing in front of it so I can't read it. [...]
There's just one word, but I can't see what it is. That's the maddening
thing. All I know is that it's in a foreign language.’
Kein spektakulärer Traum,
sicher, und doch wird man später weinen über ihn. Und nicht nur
weinen, denn etwas, etwas ist merkwürdig an Roberts Traum. Das Bild
der Krankenschwester auf der Straße, mit Haus und Schild und allem
anderen, das Bild gibt es wirklich, und es wurde aufgenommen, als er acht
war oder neun. Noch lagert es in einem Filmarchiv in Rom. Aber bald, einszwei
Jahre später, wird Terry es finden, ohne sich jedoch zu erinnern,
daß Robert es ihm einst beschrieben hat, und es wird ein Schatz für
ihn sein, denn das Bild, so wird er ergründen, stammt aus Salvatore
Orteses letztem Film, dem verschollenen Sergente Cesso, und ist der einzige
Beweis, daß es das düstere Meisterwerk wirklich gegeben hat.
Terry wird Filmkritiker und
nicht viel später Zyniker. Das heißgeliebte Szenenfoto landet
in einer Kruschelkiste, und auch die perfekten Träume verschwinden.
Denn Terry hört auf zu schlafen. Als Gregory, der einst mit Sarah,
Roberts großer Liebe schlief und heute eine Schlafklinik im selben
Haus leitet, in dem sie alle einmal als Studenten gewohnt haben, von Terrys
Schlafverzicht erfährt, lädt er ihn ein, noch einmal zurückzukommen,
nach Ashdown, ins einstige Wohnheim. Und Terry kommt, und er wird, obwohl
Gregory ganz andere Pläne hat, wieder lernen zu schlafen und zu träumen,
und das wird ihn an das Foto erinnern, das er einst so sehr geliebt, das
Foto, von dem Robert träumte.
Robert, der Sarah so sehr liebte
und nicht minder an ihr litt, da sie sich weder für Gregory noch für
ihn entscheiden konnte, sondern statt dessen Veronica wählte, Robert
ist der einzige, von dem wir nichts mehr hören im jetzigen Teil der
Geschichte. Das letzte, was wir von ihm wissen, stammt aus einem Brief
an Sarah, in dem er behauptet, die wahre Bedeutung seines Traums erfahren
zu haben. Danach scheint er verschwunden, wenn auch nicht vergessen. Doch
er ist es nicht. Er hat sich nur verändert. Wobei ihm der Traum den
Weg gewiesen hat. Am Ende, dann, wenn auch Terry ein neues Leben beginnen
will und es dank eines Psychopathen auch führen wird, am Ende wird
ihm der Traum ein weiteres Mal den Weg weisen. Und er wird wissen, was
einst auf dem Schild gestanden hat.
Jonathan Coe hat einmal gesagt,
er arbeite ein Jahr an einer Geschichte, bevor er auch nur den ersten Satz
schreibe. Wer The House of Sleep liest, weiß, daß
das glaubhaft ist. Niemand, und zwar wirklich niemand liefert dieser
Tage auch nur annähernd fein verwobene, subtil geflochtene Romane,
in denen kein Fädchen franst. Und während ihm dies in seinen
früheren Romanen nicht nur zur Stärke sondern auch zur Schwäche
gereichte – weil am Ende oft das Staunen fehlte, weil die Perfektion das
Wundern verdrängte –: ist hier alles anders. Man klappt das Buch zu,
und es entfaltet seine volle Wucht. Wer keine Gänsehaut bekommt, kann
sich getrost als verloren melden.
Piper Verlag 1998, Hardcover,
DM 44 |