Christine Morgenroth: Die engagierte Frau


Das Erwerbsverhalten von Frauen und, damit einhergehend, das Selbst- und Weltbild von Frauen haben sich in den vergangenen Jahrzehnten grundlegend gewandelt. Soziologische Studien belegen jedoch hinlänglich, daß trotz steigender Erwerbsbeteiligung von Frauen die Benachteiligungen, die sie erfahren, nicht geringer werden, und sie treffen Frauen mit wie ohne Kinder, Frauen mit gleichem Qualifikationsniveau der Männer, Frauen in nahezu allen Sparten und Berufsfeldern.

Die vorliegende qualitative Studie legt dar, ob und wie Frauen diese Benachteiligungen wahrnehmen, wie sie sie politisch 'verdauen' und welche Schlüsse sie persönlich, aber auch in ihrer Interessenvertretung im Beruf, daraus ziehen: Was folgt für das Politikverständnis von Frauen, wenn einerseits immer mehr und viele hochqualifizierte Frauen in den Arbeitsmarkt (und die Gewerkschaften) eintreten, sie andererseits trotz 'gleichen' Erwerbsverhalten wie ihre männlichen Kollegen von hohen Posten und Positionen ferngehalten werden? Morgenroth befragte 35 Gewerkschafterinnen an der Basis zu diesem Themenkomplex: Wie haben Themen der Frauenbewegung Bewußtsein und Lebensalltag von Gewerkschaftsfrauen geprägt? Wie wird ihre gewerkschaftspolitische Praxis durch 'frauenbewegte' Erkenntnisse bestimmt? Welche Vorstellungen von männlichen und weiblichen Geschlechtsrollen gibt es an der Basis? Wie stellen sich berufstätige Frauen Gewerkschaftspolitik vor, insbesondere eine, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für beide Geschlechter thematisiert?

Kurzum: Die Studie thematisiert wichtige Fragen. Es ist ja äußerst bedeutsam und auch interessant zu erfahren, ob frauenpolitisch=abstrakte Erkenntnisse mit gesellschafts-politischem Engagement einhergehen oder ob die altbekannte Lücke zwischen Theorie und Praxis auch hier klafft.

Die Erkenntnisse sind so wenig überraschend wie neu, doch äußerst aufschlußreich, leisten sie doch einen wichtigen Beitrag, Gewerkschaften als traditionell und wenig frauenfördernd zu enttarnen. Innerhalb der Gewerkschaften - so ein Ergebnis der Studie - wird wohl die Chancengleichheit von Mann und Frau im beruflichen Bereich aufs Tapet gebracht, und Frauen bewgen sich heute wie selbstverständlich auf den Bühnen von Arbeit und Politik: sie entwickeln eine libidinöse Besetzung der Berufsarbeit. Das geschieht aber unter Ausblendung der Arbeitsteilung in den Familien, die noch immer meist von Frauen geleistet wird. Eine andere Aufteilung der Familienpflichten weder von den Gewerkschaften noch von den Frauen an der Gewerkschaftsbasis als Problem und gleichstellungspolitische Forderung erkannt wird; im Gegenteil wird die 'Doppelbelastung' verdrängt, wird das traditionelle Geschlechterarragement nicht als Problem oder auch als Karrierehemmnis anerkannt und werden Deklassierungserfahrungen geleugnet.

Ein Fazit von Morgenroth: Frauen stellen durch ihre Ansprüche im beruflichen Bereich einen Teil des männerzentrierten Systems in Frage. Sie sind aber individuelle Kämpferinnen, die sich nicht als Opfer von Benachteiligungen sehen und solche strukturellen Benachteiligungen für Frauen leugnen. Dadurch können sie keine überindividuellen Muster erkennen, und Solidaritätspotentiale gehen verloren.

Das Buch ist ein begrüßenswerter Beitrag. Die Gretchenfrage für die Gewerkschaften lautet heute: Wie halt ich's mit dem Geschlechterverhältnis und einer 'fairen' Teilung aller gesellschaftlicher Arbeit? Und daß auf dem Weg zu einer Gleichberechtigung fördernden Politik in politischen Organisationen noch ein Gutstück Weg zu gehen sein wird, belegt die Untersuchung nur allzu deutlich. Wir hoffen, Morgenroths Appell verhallt nicht ungehört in gewerkschafts-politischen Zirkeln.

Westfälisches Dampfboot