Künstliche Intelligenz

Martin Strobel über ein Buch von Rolf Herken

Künstliche Intelligenz (KI) beschäftigt sich mit den Dingen, die der Mensch im Augenblick besser kann als die Maschine. Diese Definition (frei nach Elane Rich) ist vielleicht die einzige, die das Buch "Probleme der Künstlichen Intelligenz" (hrsg. von Rolf Herken, erschienen bei Springer) mit einem Wort zusammenfassen kann. Kaum ein wissenschaftliches Fachgebiet umfaßt so viele Meinungen, Strömungen und Gegenströmungen, nicht eingehaltene Versprechen, Optimismus, Pessimismus, Paradies- und Weltuntergangsszenarien wie die Künstliche Intelligenz. Allein die Klärung des Begriffs Intelligenz, der sich im englischen bzw. im amerikanischen Sprachgebrauch vom deutschen unterscheidet, ist schon schwierig genug. Wenn man sich dann auch noch darüber unterhält, ob und wie sich Intelligenz künstlich nachbauen läßt, scheiden sich die Geister.

Der Inhalt umfaßt 15 Artikel mit Positionen aus allen Ecken inner- und außerhalb der KI. Vertreten sind die Fachbereiche Mathematik, Informatik, Psychology, Biologie, Philosophie und Maschinenbau. Die Zeit der Entstehung dieser Beiträge (Mitte bis Ende der 80er) war geprägt durch das (erneute) Aufkommen des Konnektionismus, der die damals trotz millionenschwerer Förderungen ins Stocken geratene traditionelle KI aufmischte. In diesem Zusammenhang kamen auch wieder häufiger grundsätzliche Fragen nach dem Potential der KI auf. Die Diskussionen verliefen (und verlaufen heute noch) sehr lebhaft.

Dem Herausgeber Stephen Graubard ist es damals mit der Originalversion "The Artificial Intelligence Debate" gelungen, ein Bild dieser schillernden Diskussion einzufangen. Die facettenreichen Beiträge reichen von polemisch (Putnam: "..., wozu der ganze Aufwand?") bis sehr differentiert abwägend (z.B. Gebrüder Dreyfus), von sehr abstrakt und teilweise nicht ohne Vorwissen zu verstehen bis einfach und metaphorisch (Papert: "Aber Schneewittchen war nicht tot."). Es gibt z.B. Rechtfertigungen in eigener Sache (Papert: "Haben Minsky und ich versucht, den Konnektionismus zu töten[?],..."), Anekdoten (Dennet: "...verwandelte sie [die Debatte] sich in ein ... rhetorisches Ringkampfturnier") und  Milchmädchenrechnungen (Waltz: "..., dann ließe sich ein Computer mit einer dem menschlichen Gehirn vergleichbaren Verarbeitungskapazität im Jahre 2012 für $ 20 Mio. bauen."), die den üblichen Fördermitteloptimismus verbreiten. Vor allem aber spiegeln die Beiträge eine Fülle von Meinungen, Denkanstößen und Sichtweisen wider, die einiges Licht auf dieses so schwer zu kategorisierende Gebiet der KI werfen. Auch Kenner der Szene finden sicher etwas Neues, und sei es auch nur ein Umstand, den sie bis jetzt aus dieser Sichtweise nicht betrachtet haben.

Unglücklicherweise ist die deutsche Übersetzung einem Problem zum Opfer gefallen, mit dem sich auch viele KI-Forscher herumschlagen, – dem fehlenden Hintergrundwissen. Der Resolutionskalkül heißt nun mal nicht Theorie der Auflösung. Aber auch Begriffe, die gesunden Menschenverstand und Sprachgefühl (übrigens auch ungelöste Probleme der KI) erfordern, bereiten Schwierigkeiten. Künstliche Intelligenz befindet sich nicht an der Abzweigung, sondern am Scheideweg, und in der Regel spricht man von Telekommunikationsleitungen anstatt von Telekommunikationslinien, um nur zwei Beispiele zu nennen. Der Springer-Verlag war offensichtlich zu geizig, um eine ordentliche, aber aufgrund des nötigen Fachwissens sicherlich sehr teure Übersetzung oder ein Lektorat zu bezahlen. In Anbetracht der edlen und wohl auch teuren Aufmachung wäre diese Investition sicher keine schlechte Idee gewesen.

Als Fazit bleibt: Lesen! Wenn es zu kompliziert wird, nicht lange quälen! Abschnitt überblättern! Weiterlesen! Das Ganze, wenn möglich, im englischen Original!
 

Springer Verlag.