Jeremy Rifkin: Das Ende der Arbeit



 
Computerologen und Zukunftsforscher prophezeihen uns neue Arbeitsplätze. Die Zauberworte lauten: Kommunikationstechnologie, Cyberia, flexible Arbeitszeiten und Dienstleistungsorientierung. Allesamt verheißen sie saubere, frei gewählte und sozial gerecht geteilte, tariflich entlohnte Erwerbsarbeit - für alle, die nur mutig genug sind, auf den Zug in die schöne neue Welt aufzuspringen und in Zukunftstechnologien zu investieren. Einer der Skeptiker hat seinen Unmut in einem unfassenden Essay Luft gemacht: Der amerikanische Wissenschaftskritiker Jeremy Rifkin glaubt nicht so recht an die Schaffung neuer Arbeitsplätze durch die Dritte Industrielle Revolution. In seltener Einmütigkeit mit (Neo)liberalen bezeichnet er eine Rückkehr zur Vollbeschäftigung als utopisch: Die Industriegesellschaften müssen sich auf dauerhafte Massenarbeitslosigkeit einstellen. 

Rifkin zeichnet in seinem Buch Das Ende der Arbeit ein mögliches Auswegsszenario aus dem Dilemma steigernder Produktivität und sinkendem Wert von menschlicher Arbeitskraft: Es gelte, den Dritten Sektor - oder, von Rifkin weitgehend synonym verwendet, gemeinnützige Arbeiten - zu fördern; also all das, was nicht in Nützlichkeit und Effizienz zu messen ist. Unter dem nicht gewinnorientierten Sektor, der frei vom Diktat des Nutzens und des Geldtausches ist, kann eine große Bandbreite gesellschaftlich nützlicher und wichtiger Aktivitäten subsummiert werden: Altenhilfe und Wohlfahrtsorganisation, Umweltgruppen und Erziehungshilfen. In diesem nicht marktwirtschaftlich effizient und bezahlbar zu organisierenden Bereich liegt für Rifkin die Zukunft eines Großteils der Arbeit und Kreativität von Menschen in von technischen Entwicklungen förmlich überrollten kapitalistischen Gesellschaften. 

Rifkins eingängiger Problemanalyse schließen sich zwei denkbare Wege an, die westliche Gesellschaften einschlagen können. Auf der einen Seite steht ein Staat, der die ohnehin sinkenden Wohlfahrtsausgaben in protektionistische Zäune investiert: um der mit hoher Arbeitslosigkeit einhergehenden Teilung der Welt in Arbeitsinnehabende und Arbeitslose und den Kämpfe um Vermögen und Einkommen zu begegnen, wird in Gesetze, Gefängnisse und 'innere' Gefahrenabwehr eingezahlt. Legitimatorisch, aber auch faktisch befänden sich viele westliche Industriegesellschaften schon heute auf diesem Weg der Segmentierung und Ausgrenzung, befindet Rifkin. Denkt man an den Standortdiskurs und die breite Akzeptanz neoliberaler Argumentationsmuster, an die immens gestiegenen Vermögens- und Einkommensdivergenzen und tariflichen Nullrunden, so ist Rifkins Einschätzung sicher nicht von der Hand zu weisen. Für ihn ist dieser Weg eine brüchige und risikoreiche Variante. 

Auf der anderen Seite ist für Rifkin ein Staat denkbar, der die Herausforderungen offensiv annimmt und dem nicht mehr aufzuhaltenden Rückzug von Markt und Staat aus der Erwerbsarbeitssphäre neue Quellen individueller und kollektiver Orientierung und auch (materieller) Sicherheit entgegensetzt: indem für eine gerechtere Verteilung der Produktivitätszuwächse gesorgt wird, sowohl materiell als auch von Arbeitszeit. Indem aber auch ein Bereich jenseits von Staat und Markt aufgetan und gefördert wird: der Staat soll helfen, den Dritten Sektor aufzuwerten. Beides zusammen: die Verkürzung individueller Arbeitszeit plus Verteilung der Produktivitätszuwächse und die Aufwertung ehrenamtlichen Engagements soll die Krise der Gesellschaft überwinden helfen. 

Nun erinnert das Schlagwort Arbeitszeitverkürzung an alte sozialdemokratische Ideen - und es ist gut, daß Rifkin unbefangen und unbedarft sie noch einmal darlegt. Die Aufwertung von nichtmarktförmig organisierter Arbeit ist ebenfalls kein neues Thema: die noch immer unerhörten Einwände von Feministinnen, die auf einen neuen Zuschnitt von Familien- und Erwerbsarbeit drängen, müssen dringend aufs Tapet: das Rad neu erfunden hat Rifkin also nicht, wohl aber hat er in die Debatte um einen Neuen Gesellschaftsvertrag beide Aspekte wieder hineingetragen. 

Und Rifkin diagnostiziert einen steigenden Legitimationsbedarf: das Ende des Kalten Krieges, vor allem aber die - segensreichen und zugleich hochproblematischen - Auswirkungen der technischen Revolution und den kommunikations- und informationsorientierte Wandel der Gesellschaft beschwören eine Krise herbei, die profunder ist als vorhergehende Krisen, zielt sich doch auf das Herz der Arbeitsgesellschaften. Rifkins Diagnose hat einen neuen Aufhänger, sie ist jedoch nicht neu: eine Krise der Erwerbsarbeit stand spätestens mit dem Einklagen von sozialen Rechten der weiblichen Hälfte der Bevölkerung bevor, die eine gerechte Verteilung von Erwerbs- und Gesellschaftsarbeit anmahnt. 

Erwerbsarbeit für alle - diese Forderung kann nur mit einer gesellschaftlichen Neu-Aufteilung aller Arbeit: Erwerbs- wie Gemeinschafts- oder Familienarbeit aufgehen. Wer soll nun diese Umverteilung und Umbewertung vornehmen? Man erinnere ich nur André Gorz' Ende der 70er Jahre ausgesprochene Warnung im Abschied vom Proletariat: die Arbeiterbewegung konnte die Rettung von der Markt-Arbeitszentriertheit nicht übernehmen; Gorz setzte auf die neuen sozialen Bewegungen (und hier bezeichnenderweise auf die Frauenbewegung). Bei Rifkin ist die Hoffnung auf Erlösung keinem historischen Subjekt mehr zuortbar; sie ruht auf der Transformation eines Teil des 'Systems': die Rettung liegt im Ausbau des Dritten Sektors. 

Dort liegt sie, und um sie zu erfüllen, muß nach Rifkin zweierlei passieren: Es müssen Produktivitätszuwächse abgeschöpft werden. Dies vorausgesetzt, haben dann trotzdem noch nicht alle Arbeit und bleibt auf der anderen Seite viele Arbeiten im zivilgesellschaftlichen Bereichunerledigt. Deshalb müsse das Gemeinwohlengagement und der Verzicht auf Erwerbsarbeit derer gefördert werden, die Arbeit haben. Das Freizeitengagement wird im Rifkinschen Vorschlag belohnt durch Steuerabsetzbarkeit der Zeit - wie ehedem der Geldspende. Zweitens, und hier liegt der Hase im Pfeffer, sollen Sozialeinkommen gezahlt werden, also eine Art 'Bürgergeld' - aber nur gegen gemeinnützige Arbeit. Damit legt der Autor ein Plädoyer vor für ein erwerbsunabhängiges soziales Grundeinkommen, ähnlich der Modelle von liberaler und konservativer Seite mit den klingenden Namen wie Negative Einkommenssteuer oder Bürgergeld. Sein Vorschlag steht diamentral erwerbsarbeitszentrierten Konzept sozialer Grundsicherung aus Gewerkschaften und der Sozialdemokratie entgegen. Deren Bedenken, liberale Modelle schüfen Niedrig- und Leichtlohntruppen und spalteten die Gesellschaft in diejenigen, die tarifentlohnte Arbeit haben und diejenigen ohne, hält er implizit entgegen, die Erwerbsarbeitszentriertheit der Gesellschaft und der sozialen Sicherungssysteme aufrechtzuerhalten sei anbetrachts der technischen Entwicklung sowiewo unmöglich. Ein Sachzwangargument also. Zugleich - und hier liegt die weitere Brisanz und Aktualität des Beitrags von Rifkin - tritt Rifkin für Geld gegen Arbeit ein. Er dreht gewissermaßen den sozialdemokratischen Spieß um: das Recht auf Arbeit hält er hoch, unter der Hand kann aber - wiewohl Rifkin sich gegen eine Pflicht zur Arbeit ausspricht dennoch - ein Zwang zur Arbeit daraus werden. 

Ob ein im Gegenzug gewährtes Sozialeinkommen dabei nur Sozialhilfeniveau erreicht und im Gemeinwohlsektor eine Art Billiglohncrew schuftet, ergänzt von ein paar Spinnern, die Freizeit und Idealismus anbringen, oder ob nicht vielmehr eine Art öffentlich geförderte aktive Beschäftigungspolitik im Gemeinwohlbereich initiiert werden sollte, diskutiert Rifkin nicht. Damit verfehlt sein Beitrag in der Debatte gerade die entscheidende Dimension. 

Was ist nun überhaupt der Dritte Sektor: Rifkin legt zum Engagement von NGOs, von Selbsthilfeorganisationen und gemeinnützig ausgerichteten Zusammenschlüssen weltweite Zahlen vor. Die Zahlen sind beeindruckend, und nicht zuletzt deshalb wirkt der Verweis auf die Expansionsfähigkeit des Dritten Sektors wie eine (rhetorische) Wunderwaffe. Rifkin definiert jedoch nicht, worin sich ehrenamtliches Engagement von rein privat=inviduellen Hilfen oder vom zweiten Arbeitsmarkt unterscheiden soll. Diese definitorische Unschärfe läßt die Frage ungeklärt, ob sich Menschen von Engagement im Dritten Sektor ernähren können sollen, ob also der zweite Arbeitsmarkt grundsätzlich renoviert und gemeinnützige Arbeit subventioniert werden sollte - oder ob der Dritte Sektor ergänzend neben dem Freizeitengagement auf einer Art Arbeitseinsatz gegen Sozialhilfe basieren soll und damit den unteren Einkommensklassen mit schlechten Chancen auf dem schrumpfenden ersten und zweiten Arbeitsmarkt einen Trostpreis und eine Ehrenplakette angeheftet wird. 

Bei aller berechtigten Kritik an Rifkins Ideen bietet sein Buch viele gute und fruchtbare Anstöße in der Dabatte um die Zukunft der Erwerbsgesellschaft. Seine Vorschläge wie Steuererleichterungen für soziales Engagement, ein geregeltes Sozialeinkommen, eine Ausdehnung des Dritten Sektors stehen auf der politischen Agenda. Rifins Problemdiagnose: daß uns nämlich Erwerbsarbeit ausgehe und ein neuer Gesellschaftsvertrag mit einer Umgestaltung auch des Dritten Sektors anstehe, wird vielen jetzt erst mit Schrecken bewußt. 

Christine Mühlbach. 

Campus 1996.