Elvira Scheich (Hg.): Vermittelte Weiblichkeit. Feministische Wissenschafts- und Gesellschaftstheorie

vorgestellt von Christine Mühlbach
 

Die Moderne ist reflexiv geworden, auch die moderne Wissenschaftstheorie. Ein gewandeltes Selbstverständnis der Naturwissenschaften fordert feministische Wissenschaftstheorie heraus. Inwiefern muß sie ihre Annahmen revidieren? Wie sind patriarchale Verhältnisse in neueren Vorstellungen von Natur, die weniger reduktionistisch sind als klassische Mechanik und Evolutionsbiologie, eingeschrieben? Ist die Kritik von Frauenforscherinnen an der Legitimation sozialer Ungleichheit als natürlicher Differenz hoffnungslos veraltet? Oder bauen heutige Konstruktionen von Geschlechterdifferenz noch immer auf 'Konstrasttugenden' auf? Diesen Fragen nach der sozialen Konstruktion des Geschlechts gehen die Beiträge in dem Sammelband "Vermittelte Weiblichkeit" nach. Der Zusammenhang von Körper, Geschlecht und der Darstellung und begrifflichen und materiellen Gestaltung von Natur wird aus psychoanalytischer, sprach- und kulturwissenschaftlicher Sicht beleuchtet.

Hintergrund der Weiterentwicklung feministischer Kritikkonzepte sind jüngste wissenschaftliche und technische Entwicklungen, die die Naturalisierung der Geschlechterdifferenz umgestalten. Elvira Scheich nennt als Beispiel die Annäherung von Informatik und Genetik, die unter dem Label 'Biokybernetik' Karriere macht. Und Donna Haraway beschreibt am Beispiel der 'OncoMouce' eindringlich, wie Grenzen zwischen den verschiedenen Arten und Rassen verwischen und damit die Frage nach dem Selbst neu gestellt wird. Die 'OncoMouse' ist eine gentechnisch erzeugte Maus, die ein tumorerzeugendes Gen in sich trägt und in der Medikamentenforschung eingesetzt wird. Diese gemachte Maus ist ein Zwitter zwischen Natur und Kultur, zwischen Krankheit und Leben. "Produkte" wie die 'OncoMouse' basieren auf einer gewandelten Naturerkenntnis, und sie stellen die für die Moderne konstruktive Konzeption der Geschlechterdifferenz als Antagonismus von Natur und Kultur in Frage.

Wir wollen hier die Überlegungen Scheichs zum Werdegang der feministischen Wissenschaftskritik kurz skizzieren, um auch diejenigen für das Buch zu interessieren, die sich bislang nicht an das Thema gewagt haben: Die Moderne und ihre Großen Erzählungen leben von Dichotomien: Öffentlich - Privat, System - Lebenswelt, Staat - Familien. Feministische Theorie hat diese Zweiteilung in der Lesart moderner Lebensformen und moderner Gesellschaften kritisch untersucht: Kann die soziale Ungleichheit zwischen den Geschlechtern adäquat mit den Begriffen erfaßt werden?

Das scheint der Fall: Frauen werden kulturell einzig assoziiert mit der einen Seite, mit Natur, Familie, Privatheit, und auch in der wirklichen Welt sehen sie sich von der Teilnahme an der Gegenseite ausgeschlossen. Die Erforschung der Geschlechterdifferenz führte zur zentralen Unterscheidung zwischen biologischem und sozialem Geschlecht, zwischen sex und gender, und der Untersuchung der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern. Wiewohl sich auch die Lebensbedingungen von Frauen in diesem Jahrhundert geändert haben, hat sich die Konstruktion des Weiblichen nicht geändert. Es steht kulturell komplementär zum Männlichen und ist Gegenstück, Natur, Ewig-Seiendes. Die Moderne wurde als "hälftig" enttarnt, als in sich zerrissen, in zwei aufeinander bezogene Hälften zerspalten, von denen die 'vergessene' Hälfte, die Frauen, nun ihren Subjektstatus einklagen und in der Gesellschaft mitwirken. Feministische Kritik mit ihrer Rationalitäts- und Aufklärungskritik hat beigetragen, die inneren Widersprüche des Projekts Moderne zu offenbaren und wirft nun mit postmodernen Theorien ihre Plädoyers für eine gewollte Differenz, für das Anders-Sein von Frauen, in die Diskussion oder aber - gerade im Gegenteil - für eine Denaturalisierung der Differenz, wie zB Judith Butler vorschlägt, die dem Geschlecht keine körperliche Gestalt mehr läßt.

Demgegenüber mahnt Elvira Scheich in ihrem Vorwort eine Sicht an, in der vor lauter Einzeldiskursen das "Ganze" der gesellschaftlichen Verhältnisse nicht aus dem Blick gerät. Auch gehe es weniger darum, was Frauen 'sind', als vielmehr um die noch immer bestehenden Beschränkungen, die auf den weiblichen Körper zielen, offenzulegen. In den Beiträgen des Bandes "Vermittelte Weiblichkeit" steht die Brücke von historischer Erfahrung und kultureller Repräsentationsfunktion des Weiblichen im Mittelpunkt. Und bei dieser Vermittlung zwischen Diskursen und der Realität nehmen die Wissenschaften (und hier insbesondere die Naturwissenschaften) eine prominente Rolle ein, indem sie die Welt deuten, indem aber auch durch Deutungen die Welt sich umgestaltet. Veränderte Paradigmen und Programme in neuen Wissenschaften wie Ökologie und Informatik und selbst in der Genetik rücken von reduktionistischen Modellen ab. Was bedeutet das für eine feministische Kritik der Naturwissenschaften? "Reflektieren die Modernisierungen in der Wissenschaft die Veränderungen des Geschlechterverhältnisses? Verschwindet die Naturalisierung des Geschlechterverhältnisses?" fragt Scheich. Das heißt: Ist feministische Kritik, die sich am 'alten' naturwissenschaftlichen Paradigma orientiert, nicht hoffnungslos veraltet, nicht zuletzt, indem sie die kritisierten Dichotomien selbst festschreibt?

Die Diskussionsbeiträge in "Vermittelte Weiblichkeit" bieten auf diese Fragen nach der Neubestimmung der doppelten Vergesellschaftung von Frauen unter den Bedingungen technischer Vergesellschaften Antworten, die nicht nur intellektuell so anregend wie herausfordernd sind, sondern die vor allem feministische Wissen-schaftskritik ein Gutstück voranbringen.

Hamburger Edition, DM 58