Reinhard Kaiser: Literarische Spaziergänge im Internet.

Bücher und Bibliotheken online


Auf dem Schutzumschlag des Eichborn-Bandes staunt ein Forscher zwei mitten auf dem wilden Pfad, den er bewandert, sich sonnende Schmetterlinge an: sein Netz scheint zu klein und seine Augen zu schwach, um die seltenen Prachtexemplare er-fassen zu können. Literarisches im Internet, das sagt schon die Fülle an Material, die uns Reinhard Kaiser als Ergebnis seiner Literarischen Spaziergänge im Internet präsentiert, ist nicht selten zu finden, und es ist auch nicht alles bunt was glänzt.

Der Autor des wunderbaren Romans Der kalte Sommer des Doktor Polidori und der Rechercheur der just erschienenen wahren Liebesgeschichte Königskinder überrascht uns mit seiner nüchternen Internetreise. Einen literarischen Wegweiser über Literatur und allem Drumherum wollte er kaufen, so erzählt er den LeserInnen, und da es so etwas bislang nicht gab, hat er ein solches Kompendium selbst zusammengestellt. Herausgekommen ist eine Mixtur aus Reisebericht und Nachschlagewerk, aus literarischem Spaziergang und kurz-knapper Deskription der Funde.

Reinhard Kaiser enthält sich weitgehend eines Kommentars der einzelnen Knoten oder Dokumente, auf die er gestoßen ist. Vielmehr kommentiert er die Suche selbst und schildert in einer Art Einleitungskapitel "Wegzehr" die Neugier, mit der er seine Suche betrieben hat. Und Surfer, die die Web-Welt nur als virtuelle Welt der Technikfreaks oder des Skurrilen und Abartigen kennengelernt haben, sehen, daß auch Literarisches im Datendschungel zu finden ist: Prosa und Poesie, Bibliotheken, Nachschlagewerke und Litaraturzeitschriften, Literaturwerkstätten und AutorInnen in der Computerwelt. Allein schon die Fülle an Adressen, URLs und Newsgroups, auf die er gestoßen ist, zeigt, daß vom Ende der Buchkultur durch und in der zunehmenden "Multimediaisierung" keine Rede sein kann. Ob die Zukunft der Literatur allerdings im Internet liegt - das beantwortet uns auch Reinhard Kaiser nicht. Sein Buch hilft allerdings bei der Suche der LeserInnen nach Literatursites und Bibliotheken.

Ein gutes Nach- und Vorschlagwerk und allen LeserInnen zu empfehlen, die Literatur und Internet nicht als Gegensatz begreifen.

Eichborn 1996, 29,80 DM