Im Kern verrottet? Fünf vor zwölf an Deutschlands Universitäten



Christine Mühlbach über Peter Glotz
 

Der Titel von Peter Glotz' Buch "Im Kern verrottet? Fünf vor zwölf an Deutschlands Universitäten" klingt nach einer deftigen Abrechnung mit Hochschulpolitik und -realität, die der bildungspolitische Sprecher der SPD vorgelegt hat. Fünf vor zwölf heißt: Endzeitstimmung, Nichts-geht-mehr, radikales Umdenken steht an. Fünf vor zwölf ist die Welt schwarz. Und in der Tat: es ist ein düsterer Hintergrund, vor dem der Chefdenker der deutschen Linken seine deutliche Abrechnung vorlegt, denn eine Abrechnung ist es. Aber einfach macht es sich Glotz durchaus nicht. Seine Kritik an der Politik rund um die einstigen Intelligenzlerschmieden Universität ist differenziert, und er präsentiert auch Lösungen, die tatsächlich aus der Misere führen könnten und die dank Glotz' langer Erfahrung im 'politischen Geschäft' weniger radikal denn vielmehr machbar erscheinen. Und so erteilt er denn auch Ideen einer "Totalreform" des Hochschulwesens seiner Streitschrift eine deutliche Absage und vertritt statt dessen die These, daß es kaum eine intelligentere Organisationsform von Wissenschaft gibt als die Universitäten. Die aber, und das ist eine sehr einfache Anmerkung, müssen finanziell so ausstaffiert sein, daß sie auch funktionieren können. Wie und warum, das führt Glotz auf guten 150 Seiten bestens lesbar und mit wichtigen Verweisen versehen, aus.

Peter Glotz hat die Zeichen der Zeit erkannt: Die Hochschulen stecken in der Krise. 70% mehr Studierende innerhalb von 20 Jahren bei wenig mehr Mitteln und Stellen haben bewirkt, daß die Universitäten längst nur mehr Dienstleistungsagenturen für Wirtschaft und Weiterkommen sind, nicht aber gesellschaftspolitische Zukunftswerkstätten. Zur Wiedervereinigung, zur Europäischen Einigung, zum Umbau der Industriegesellschaft leistet der Wissenschaftsbetrieb kaum wertvollen Beitrag. Will Deutschland dem vielbeschworenen internationalem Konkurrenzdruck standhalten können, muß mehr Geld vom Bund her, muß Kommunikation zwischen den vereinzelten Wissenschaftlern erleichtert werden, müssen Leistungsentlohnung, Professionalisierung der Verwaltung und Studiengebühren her.

Glotz provokative Thesen, die wir hier freilich nicht vollständig referieren wollen (und die im Buch durchaus detailiert ausgeführt sind), dürften nicht nur diejenigen aufwecken, die seit Jahr und Tag für eine restriktivere Zugangsbeschränkung zum Studium eintreten und einem radikalen 'Umbau' - ganz analog zum Staatsumbau - das Wort reden. Auch auf der anderen Seite des bildungspolitischen Grabens sehen die, die seit der Bildungsreform der 70er den Fortschritt der Bildungspolitik gesichert sahen, ihre Felle schwimmen.

"Im Kern verrottet?" ist eine Streitschrift. Und so fordern Glotz' Thesen und Lösungsrezepte zum richtigen Tun und Lassen in der Hochschulpolitik zum Nachdenken auf und durchaus zum Widerspruch und Streit. Glotz Warnruf wird sicher nicht ungehört verhallen; das Echo wird nicht lange auf sich warten lassen.

DM 24,-