Neue Literatur aus deutsch(sprachig)en
Landen
Karl Corino/Elisabeth Albertsen (Hrsg.), Nach zwanzig Seiten waren
Helden tot, Marion von Schröder
Erste Schreibversuche deutscher Schriftsteller versammelt der just
bei Marion von Schröder erschiene fast 400 Seiten starke - manchmal
erhellende und manchmal sehr amüsante - Band. Mit von der Partie sind
unter anderem: Sten Nadolny, Günter Grass, Friederike Mayröcker,
Adolf Muschg, Peter Härtling, Bodo Kirchhoff, Peter Rühmkorf
(man kann übrigens auch etliches über die möglichen Ausprägungen
von Eitelkeit und Talent erfahren in diesem Band), Günter Kunert,
Gabriele Wohmann, Martin Walser, Hans Joachim Schädlich.
Das Buch eignet sich sowohl als originelles Geschenk zur Komplettierung
voller Bibliotheken als auch zum Selberkaufen. (Und geraten darf schon
mal werden, auf wen der hübsche Titel zurückgeht!)
Günter Grass, Ein weites Feld, Steidl
Mein Gott, ein weites Feld ist längst auch die Diskussion um
das Buch und die Metadiskussion um die Diskussion um selbiges. Als Destillat
bleibt, daß Grass' Roman von Bedeutung ist. Von welcher und wie großer?
- da gibt es längst zu jeder Position ein Pamphlet. Gesondert zu notieren
bleibt da vielleicht nur die erstaunlich erfreuliche Tatsache, daß
Bücher überhaupt noch derartigen Wirbel verursachen können.
Allerdings offenbarte sich mit dem Buch noch etwas anderes: daß
man nämlich dem Verleger vorgeworfen hat, er habe einen ungehörigen
Rummel um das Buch veranstaltet, daß man fand, er habe letztlich
etwas Ungehöriges getan, indem er sich für das Buch konsequent
einsetzte, offenbarte letztlich, daß der Dummbeutel- und Ignorantenquotient
im Feuilleton des Landes viel höher ist als ohnehin zu befürchten
war.
Hermann Kant, ESCAPE - Ein WordSpiel, Aufbau
Es geht um KAMV, was für Kants merkwürdiges Vergnügen
steht. Das besteht darin, ein Spiel mit der Rechtschreibhilfe des Textverarbeitungsprogramms
zun spielen. Die hat bekanntlich einen begrenztern Wortschatz. Weiters
macht sie gern Verbesserungsvorschläge, was in vielen Fällen
einer unfreiwilligen Komik nicht entbehrt. Kant macht daraus nun Prinzip,
und geht jedem Vorschlag des Rechners nach, sucht nach Verbindungen, die
es vielleicht tatsächlich gibt und stößt fast immer auf
sie. Das alles ist dann die Folie, auf der Kant den unterschiedlichsten
Betrachtungen nachgehen kann, wobei er viele diser Ausflüge dem neuen
Deutschland dieser Tage widmet. Und das ist manchmal ziemlich beißend,
und jedenfalls gar nicht so eskapistisch wie es der Titel des Buchs andeutet.
Escape ist zwar anstrengend (und kaum am Stück zu lesen),
und manchmal wird man sich auch schwer tun mit Kants Haltung zu diesem
oder jenem, aber es ist definitiv kein schlechter Begleiter zur Zeit.
Eva Klingler, Die Serienfrau, Rütten & Loening
Eva Klingler lebt in Baden-Baden, und irgendwie klingelt es da ja bei einem,
vor allem, wenn man bei Serie zurecht an Fernsehserie denkt. Exakt:
Eva Klingler arbeitet für den SWF, und jetzt hat sie in ihrem insgesamt
dritten Roman, einem Sender hinter die Kulissen geschaut und eine feine
Satire fabriziert. Die Ingredienzen: Katharina Dellbrügg, alleinerziehende
Mutter, kurz davor, im Chaos zu versinken; der Westfunk, dessen Quoten
schon lange in den Keller gesunken sind; der Plan für eine Daily Soap;
einige Väter für Katharinas Kinder; Eitelkeiten und Leidenschaften.
Viel Spaß!
Hugo Loetscher, Saison, Diogenes
Zwar kann einem der Spaß an Loetscher vergehen, wenn man ihn über
seine Bücher erzählen hört - wie an allen Autoren, die meinen,
sich selbst erklären zu müssen -, aber man kann Radio oder Flimmerkiste
ja abschalten, wenn man ihn hört oder sieht. Denn: die Sache ist es
wert. Denn: Loetscher zu lesen, ist ein Vergnügen. Denn: Loetscher
ist - von der unerklärliche Unsitte abgesehen - ein guter Autor.
Was er in seinem neuesten Roman Saison einmal mehr unter Beweis
stellt. Die Saison ist die Saison Philipps, der sich die letzten
Großen Ferien (vor dem Start der Ausbildung) mit einem Job als Bademeister
vertreibt und verträumt. Die Badeanstalt wird zum Theater, und Philipp
ist der Held. Er war berühmt, nur wußte dies niemand.
Matthias Manzel, Peinlich, Amman
Ist Matthias Manzel der deutsche Flann O'Brien? Freilich nicht. Weil ja
damals doch irgendwie alle anders war, und weil bei Manzel Fahrräder
letztlich nur eine untergeordnete Rolle spielen, wenn sie überhaupt
eine spielen. Aber Manzels Ideen & Einfälle, Eskapaden & Ausfälle,
Verrücktheiten & Anfälle - sie sind ganz vom Geist des großen
Iren. Sie sind absolut brillant und schrecken vor nichts zurück. Da
ist zum Beispiel der Beweis der Überflüssigkeit des Bewußtsein,
oder die Einführung des Alkoholiker-Chromosoms in die Literatur (was
uns irgendwie nochmal auf O'Brien bringt), und da gibt es die verschiedenen
gelehrten Ausführungen über das Kondom. Der Verlag spricht vom
Roman als Massenkarambolage, und - ja, sowas gibts auch mal - er
trifft's bestens damit.
Kai Meyer, Der Rattenzauber, Rütten & Loening
Ein unheimlicher Roman um das Mysterium von Hameln - so der Untertitel
des Romans. Hameln, 1284. Eine Stadt ohne Kinder. Die Sache spricht sich
rum, und der junge Robert von Thalstein reitet mit dem herzoglichen Auftrag
in die Stadt, der Sache auf den Grund zu gehen. Rasch kommt er mit seinen
Ermittlungen voran. Doch genauso rasch stößt er auf den Grund
ganz anderer Dinge.
Meyer, der Film- und Fernsehwissenschaften studiert hat und kein Geheimnis
daraus macht, wie sehr das Kino ihn in seinen Erzähltechniken beeinflußt
hat, erzählt rasant und spannend.
Ulrich Peltzer, Stefan Martinez, Ammann
Ulrich Peltzer schildert in seinem zweiten Roman zwei Tage im Leben
eines Mathematikers, der sich in einem Architekturbüro in Berlin verdingt.
Es ist das Porträit eines Vertreters der Generation der in den 50er
Jahren Geborenen - und doch viel mehr. In geschliffener Sprache, die so
präzise arbeitet wie ein Skalpell, sammelt der Text unzählige
Beobachtungen - über Farben, Lebenserwartungen von Mensch & Tier
und Musikvideos - Beobachtungen über unzählige Dinge und ihre
Oberflächen, die sich kaleidoskopartig verbinden.
Peltzers Buch ist sicher das Buch eines Intellektuellen par excellence,
aber im guten Sinne. Und deshalb kann man zwei Attribute auf es verwenden,
die oft nicht zusammenstehen: es ist klug und unterhaltend.
Helmut Sakowski, Wendenburg, Roman
Ein Roman wie ein Fernsehfilm - und zwar ein guter. (Und Wunder nimmt
es einen nicht, liest man in Sakowskis Bio, daß er einmal in den
60ern und dann nocheinmal in den 70ern fürs Fernsehen geschrieben
hat.) Aber zum Buch. Wendenburg hieß schon so, bevor die Mauer fiel.
Es ist ein Städtchen im Osten, dessen Name mit einem Mal eine gänzlich
neue Konnotation erhält. Und in dem Städtchen spielen sich all
die Geschichtchen und Geschichten ab, die letztlich in ihrer Vielfalt Geschichte
machen...
Sakowskis Wendenburg ist eine hübsche Satire, deren Autor
seine Figuren mag (und dem sich die Leser darin anschließen).
Bernhard Schlink, Der Vorleser, Diogenes
Es ist der dritte Roman des Juraprofessors. Der erste gewann den Glauser,
der zweite den Deutschen Krimi-Preis. Dieser gewinnt das gesamte
deutschsprachige Feuilleton und die Leserscharen.
Er handelt von der Liebe eines Fünfzehnjährigen und von der
Erinnerung an diese Liebe, als ihr der Prozeß gemacht wird. Dabei
kommen Dinge ans Licht, die den Helden genauso gefangennehmen wie einst
die Geliebte, die nach dem zweiten Mal oft auf ihm einschlief...