4 Blicke ins Ich

 

William H. Calvin/George A. Ojemann, Einsicht ins Gehirn, Hanser

Wie funktionieren Sprache, Erinnerung und Gedächtnis? Schriftsteller und Philosophen haben seit Jahrhunderten versucht, auf diese Frage Antworten zu finden. Je weiter die Neurologie fortschreitet, desto mehr haben dazu jedoch auch Naturwissenschaftler zu sagen. Calvin und Ojemann, Neurobiologe und Neurochirurg, breiten in dem jüngst bei Hanser erschienen Band auf rund 370 Seiten ihre Erkenntnisse auf überaus anregende und spannende Weise aus. Erzählerischer Leitfaden ist dabei eine Gehirnoperation, bei der Ojemann einen bestimmten Teil des Gehirns seines Patienten physisch lokalisieren muß. Dabei stellen sich die großen Fragen nach Sein und Bewußtsein gewissermaßen en passant - auf ihrer (wörtlich und übertragen zu vesrtehenden ) Reise nämlich durch das Gehirn.
 

Antonio R. Damasio, Descartes' Irrtum, List

Nicht Ich denke, also bin ich sei die zentrale Erkenntnis über das menschliche Sein, sondern vielmehr Ich fühle, also bin ich - so provoziert der Neurologe Damasio und stellt dabei einige Jahrhunderte Erkenntnistheorie in Frage. Damasio hat Hunderte von Fällen analysiert, in denen Patienten unter Gehirnschäden litten, und konnte daraus folgern, daß die Stirnlappen (frontal lobes) für Fühlen & Handeln von zentraler Bedeutung zu sein scheinen. Wenn dies jedoch stimmt, dann hat dies dramatische Konsequenzen für unser Verständnis vom Menschen, die womöglich nicht nur Naturwissenschaften und Philosophie sondern auch vor allem die Sozialwissenschaften nachhaltig verändern könnten. So hat der renommierte Ökonom George Loewenstein von Carnegie Mellon bereits versucht, auf Damsio aufbauend, ein neues Modell menschlichen Entscheidens zu entwickeln, das einen vollständigen Bruch mit allen Nachkriegstheorien darstellt.
Wer Damsios Buch liest, hat die Möglichkeit, einer der womöglich wichtigsten Revolutionen innerhalb der modernen Wissenschaft als Zeuge beizuwohnen.
 

Hoimar von Ditfurth, Die Wirklichkeit des Homo sapiens, Hoffmann und Campe

Im Mittelpunkt des soeben bei Hoffmann und Campe erschienen Aufsatzbands des 1989 verstorbenen Professors für Psychatrie und Neurologie, der es wie kaum ein anderer verstanden hat, wissenschaftliche Erkenntnisse einem breiten Publikum auf spannendste Weise zu vermitteln, steht die Frage nach der Herkunft des menschlichen Bewußtseins. Der Bogen, den die Überschriften, die von Geist und Materie bis Evolution und Schöpfung reichen, reflektiert dabei den Bogen, den von Ditfurths Betrachtungen spannen. Von Ditfurth argumentiert nie aus der Sicht einer bestimmten Disziplin, klagt nie ein Primat einer Wissenschaft ein, sondern stellt nebeneinander, was Biologie, Medizin, Physik und Philosphie in den Achtziger Jahren errungen haben.
 

Nicholas Humphrey, Die Naturgeschichte des Ich, Hoffmann und Campe

Wie entwickelt sich aus neuralen Übertragungen eine Empfindung - und aus der Empfindung ein bewußter Vorgang? Ähnlich wie Damasio stellt Nicholas Humphrey, der mit Dian Fossey einst Berggorillas in Ruanda studierte, Descartes zentrale Idee der Erkenntnistheorie in Frage. Während Damasio jedoch aus Sicht des Neurologen argumentiert, geht Humphrey der Frage der Bedeutung von Wahrnehmungen aus evolutionstheoretischem Blickwinkel nach - freilich ohne die Empirie zu vernachlässigen. Sp schildert Humphrey zahlreiche Beobachtungen aus Experimenten mit Menschenaffen. Der Observer resümierte bei Erscheinen des Originalfassung: Kein anderer Naturwissenschaftler schreibt so lesbar, so klar und gleichzeitig so provokant und philosophisch.