Sachbücher, Biografien & Varia im August
1996
Noel Riley Fitch, Das erotische Leben der Anais Nin, Europaverlag
Auf 700 Seiten schildert die Literaturwissenschaftlerin Fitch das Leben
einer der bemerkenswertesten Frauengestalten der Pariser Literaturszene
der Zwanziger und Dreißiger. Berühmt wurde sie vor allem durch
ihr Tagebuch, das, wie Fitch zeigt, ein Dokument der Selbststilisierung
ist und zu einem viel größeren als bisher angenommenen Teil
auf Erfindungen beruht. Damit ergibt sich aber nicht nur eine Neubewertung
ihres literarischen Schaffens sondern auch ein besseres Bild ihres Lebens.
So ist das Buch sicher unentbehrlich für jeden, der sich auch nur
irgendwie für Anais Nin interessiert. Für alle anderen ist es
in der Lage, dieses Interesse zu wecken.
Elizabeth Gaskell, Das Leben der Charlotte Bronte, ars vivendi
Es ist ein Glücksfall, daß es endlich ein deutscher Verlag unternommen
hat, die große Bronte-Biografie von Eilzabeth Gaskell übersetzen
zu lassen und so für den deutschen Leser zugänglich zu machen.
Als Band 10 der schönen "ars vivendi Bibliothek" ist sie soeben erschienen.
Gaskell, selbst eine der wichtigsten Autorinnen ihrer Zeit und hierzuland
hoffnslos unterschätzt, obwohl ihr Arno Schmidt seine Defintion, was
denn ein Dichter sei, verdankte, war nicht nur Zeitgenossin Charlotte Brontes,
sondern mit dieser auch befreundet. Als Charlotte mit 38 Jahren starb,
bat ihr Vater Gaskell, die Biografie seiner Tochter zu schreiben. Sie wurde
zum Skandal - fühlten sich doch etliche Wegbegleiter Charlottes auf
die Zehen getreten. In gekürzter Fassung wurde das Buch dann aber
in kürzester Zeit zum Klassiker. Und so gehört das Buch in das
Regal eines jeden Lesers.
Oliver Greenfield, Der gehörnte Vogel, Schweizer Verlagshaus
Der Autor war 20 und arbeitete für eine Baufirma - genau zehn Monate,
bis es ihm stank und er die Chance erhielt, einen ehrenamtlichen Job in
einem Nationalpark in Bolivien zu übernehmen. Mitten im Dschungel
lernt er das Leben von einer Seite kennen, die ihm in England wahrscheinlich
nie zu Gesicht gekommen wäre. In einem sehr unterhaltsamen dokumentarischen
Abenteuerbuch läßt der jetzige Student den Leser an seinen Erlebnissen
teilhaben.
Hermann Langbein, Menschen in Auschwitz, Europaverlag
1972 erschien Langbeins Buch zum ersten Mal. Mit seinen sachlichen und
präzisen Beschreibungen, seinem Faktenreichtum und der Sammlung von
Aussagen der Täter und Opfer ist es zu einem Standardwerk der Literatur
über den Holocaust geworden. Zum 50. Jahrestag hat der Europaverlag
eine Sonderausgabe dieses Buchs aufgelegt, das auf 800 Seiten das dokumentiert,
was so schwer nur zu verstehen ist, und damit aber einen Beitrag zum Verstehen
leistet.
Nancy Mitford, Noblesse Oblige, Eichborn
Die Mitford-Sisters waren ein bunter Haufe aus der besten englischen Gesellschaft.
Nancy, die älteste und heute berühmteste, wurde ihre Chronistin.
Reinhard Kaiser, ihr excellenter deutscher Übersetzer, hat nun für
Eichborn eine Sammlung von Glossen und Aufsätzen Nancy Mitfords zusammengestellt,
die auf bissigste Art die Zeit und Gesellschaft, in der sie lebte enttarnt.
Das Buch ist pure Kurzweil - boshaft, witzig und klug.
Martin Seiwert, Die Mitte von Nirgendwo, Schweizer Verlagshaus
Dieses Buch enthält den Bericht eines deutschen Abiturienten, dem
es ein Stipendium ermöglichte, sich einen Traum zu erfüllen:
nämlich nach Nordamerika zu reisen und dort den letzten freien Indianerstamm,
die "Dene" zu besuchen. Seiwert beschreibt alles, was er sieht und erfährt
- von der Jagd nach dem Karibu bis zum jährlichen Häuptlingstreffen.
André Stein, Versteckt und vergessen, Europaverlag
Die Kinder des Holocausts - man hat sie vergessen. Den Opfern, die gestorben
sind, wird - wenigstens bei der periodischen Wiederkehr trauriger Jahrestage
- gedacht. Den Opfern, die überlebt haben, kaum. André Stein
- selbst nur knapp entkommen - schildert in seinem Buch die Schicksale
von zehn Kindern, die überlebten. Es ist ein Buch, das die Greuel
von einer Seite zeigt, die nur zu leicht verdrängt wird, es ist ein
wichtiges Buch wider das Vergessen.