Frühjahrsspätlese III: Architektur


Ob wir einen hätten weglassen sollen oder noch einen weiteren aufnehmen? - ist natürlich Quatsch, schließlich sitzen wir hier nicht bei Tisch. Also stellen wir schlicht diejenigen Architekturbände vor, die uns im Frühjahr am besten gefallen haben. Daß das nun genau 13 geworden sind, ist dabei viel weniger beunruhigend als der Umstand, daß es nicht unbedingt die 13 sind, die sich mit der Architektur befassen, die uns am besten gefallen hat. Und weiß der Himmel warum, aber bei dieser Gattung finden wir es ungleich schwerer als bei anderen, uns nicht übermäßig vom Abgebildeten und Dargestellten und zu wenig von Abbildungen und Darstellungen leiten zu lassen.

Freilich fällt beides des öfteren auch zusammen, und so war die Entscheidung für den Band Award Winning Architecture 96 von Prestel eine leichte. Auf 230 großformatigen Seiten präsentiert der Band über 150 durchgeführte Projekte aus über 50 Ländern, die in den letzten beiden Jahren mit Preisen bedacht worden sind. Daß das nicht nur informativ hinsichtlich der einzelnen Bauten ist, sondern viel über jüngste, zum Teil äußerst gegenläufige kulturelle Entwicklungen verrät, versteht sich dabei von selbst. Die Schirmherrschaft über das Buch hat die International Union of Architects übernommen, was fürderhin für eine ebenso solide wie detailgenaue Schilderung der Projekte bürgt. Bleibt eigentlich nur noch festzuhalten, daß auch der Preis von 68 DM äußerst günstig ausgefallen ist.

Ebenfalls äußerst preiswert ist die Taschen-Reihe zu zeitgenössischer Architektur. Ausgewählt haben wir die beiden Bände Contemporary Californian Architects und Contemporary American Architects II, die einem mal mehr das Kinn nach unten klappen lassen: Es ist schon erstaunlich, daß ausgerechnet ein Land, in dem der Alltag von einer absoluten Nullarchitektur beherrscht wird, mit derartiger Regelmäßigkeit Architekten hervorbringt, die vom Verhältnis Raum-Natur-Mensch so viel mehr begriffen haben als die meisten hierzulande, deren Radikalität nicht simple Provokation sondern erfrischende Bereicherung meist ist.

Der Godfather der amerikanischen Architektur ist Frank Lloyd Wright. Einem seiner Hauptwerke, dem Salomon R Guggenheim Museum ist ein bei Hatje erschiener Band gewidmet. Er wartet mit Skizzen, Modellen, Bauarbeiten und Ansichten des fertigen Gebäudes auf. Edelst verpackt (in graues Leinen mit herrlicher Blindprägung auf dem Rücken) und virtuos zusammengestellt, ist das Buch ein Musterbeispiel für Gebäudemonographien.

Ebenfalls von Hatje kommt eine Monographie über James Stirling, die dessen Bauten und Projekte von 1950 bis 1974 vorstellt. Stirling, der in den 80ern berühmt wurde und 1992 starb, hat schon in dieser ersten Periode seines Schaffens das angelegt, was ihn später zum herausragenden Vertreter modernen Bauens werden ließ - und es ist vor allem interessant, wie er sich den unterschiedlichsten Aufgaben gestellt hat, wie er für Wohnungs-, Industrie- und Verwaltungsbauten individuelle Lösungen gesucht hat, ohne auf einen übergeordneten Stil - man könnte sagen: Metastil - zu verzichten.

Hat man vielleicht gerade Stirlings Olivetti-Gebäude betrachtet und nimmt dann - ob zufällig oder nicht - den bei Ernst & Sohn erschienen Band Architektur, Design und Innovation, der die Arbeiten von Nicholas Grimshaw vorstellt, zur Hand, sieht man sehr hübsch, wie die Briten - sich gegenseitig inspirierend - eine auch hierzulande wohlbekannten Linie entwickelt haben, die gerne mit High-Tech beschrieben wird und an der auch Norman Foster und Richard Rogers maßgeblich beteiligt waren. Besessen von einfachen Formen und von der Idee, daß das, was nützlich, auch schön sein kann, daß mithin scheinbar rein funktionale Teile eines Bauwerks nicht notwendigerweise versteckt werden müssen, wurde Stirling mit seinen Gebäuden für die namhaftesten Auftragggeber (BMW, IBM, Vitra usf.) bewundert, berühmt und imitiert. Der aufwendig gemachte Band von Ernst & Sohn, für den Colin Amery verantwortlich zeichnet, dokumentiert Grimshaws Schaffen mit Skizzen, Plänen und - vor allem - großformatigen, gut ausgewählten Fotos.

Ebenfalls mit Industriearchitektur ist der bei Wasmuth erschienene Band Kathedralen der Arbeit befaßt - allerdings mit einer ganz anderen als der Grimshaws: mit der deutschen Industriearchitektur des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts nämlich, mit Gebäuden, bei denen man, führt einen ein Ausflug an ihnen vorbei, unweigerlich denken muß, daß das Arbeiten damals doch eigentlich ganz schön gewesen sein muß - trat man doch zur Morgenstunde in Paläste oder eben Kathedralen. Aber allein dieser Gedanke deutet die Ambiguität dieser Schlösser aus flüssigem Metall, wie sie der Komponist Max Reger 1905 genannt hat, an. Kurzum: das von Wolfgang Ebert und Achim Bednorz gemachte Buch ist eines, das längst überfällig war, eines, das mit romantischer Schönheit becirct und trotzdem gruseln läßt.

Einen heftigen Kontrapunkt zu den Kathedralen der Arbeit stellen die Landhäuser 1945 - 1984 von Marcel Breuer und Herbert Beckhard dar, die David Masello in einem hauptsächlich schwarz-weiß gehaltenen bei Birkhäuser erschienen Band vorstellt. Breuer, zu dessen Schülern übrigens Philip Johnson und Richard Meier zählen, und Beckhard schufen in den 50er Jahren in Amerika einen Wohnhaustyp, wie man ihn auch bei Frank Lloyd Wright wiederfindet, einen Typ, der sich auf nachgerade magische Weise in die Landschaft und unmittelbare Umgebung einpaßt. Und so ist der Band so herrlich geworden wie die Häuser, die er darstellt, wenn auch die konzeptionelle Beschränkung auf schwarz-weiß im Hauptteil ein Fehler war, der - mag er auch noch so gut begründet sein - gerade durch die Farbtafeln am Schluß des Bandes erwiesen wird.

Gelungener ist die Balance zwischen Schwarz-weiß und Farbe in der ebenfalls bei Birkhäuser erschienen Monographie über Cruz/Ortiz und deren durch kühle Eleganz bestechende Bauten aus den zwei Jahrzehnten von 1975 bis 1995. Wie auch Stirling beeindrucken Cruz/Ortiz vor allem mit der Vielartigkeit ihrer Bauten, und man ist schon verblüfft, wenn man ihre Wohnanlagen neben das Sportstadion in Madrid hält oder den wunderbaren Busbahnhof von Huelva.

Ein Bahnhof zählt auch zu den Hauptwerken von Andreas Brandt & Rudolf Böttcher, nämlich der in Kassel, und der ist so scheußlich, daß es schwer fiel, den bei Ernst & Sohn erschienen Band in unsere Spätlese aufzunehmen. Aber, was soll's, der mittelformatige Band ist sehr gut gemacht und sagt einem viel über die deutsche Gegenwart(sarchitektur). Ob einen dies freilich fröhlich stimmt, muß jeder selbst entscheiden.

Uneingeschränkt fröhlich hat uns das Gesamtwerk des mexikanischen Architekten Luis Barragan gestimmt, das in einem bei Birkhäuser erschienen Band dokumentiert ist. Der Autodidakt rekurrierte auf einfachste Formen und arbeitete mit ungewöhnlichen, oszilierenden Farben. Und Bauten wie die Türme der Ciudad Satelite in Mexiko-Stadt wecken auf merkwürdige Weise den Wunsch, sie einmal in echt zu sehen. Für uns ist Barragan sicher eines der absoluten Highlights, und wer einen Hunderter entbehren kann, kann ihn kaum besser anlegen.

Damit kommen wir noch einmal auf die leidige Frage des Geldes, wenn auch in einer anderen Spielart. Sieht man von den wenigen Wohnanlagen ab, wird wer nicht gerade Mulitmillionär ist oder Museums-, Bank, oder Stadtdirektor (oder am anderen Ende der Skala: Bahnhofspenner), der wird sich kaum je länger in einem der Gebäude aufhalten, die in den bislang vorgestellten Büchern dargestellt sind. Und deshalb scheinen uns die bei Callwey erschienen Bände Neue Einfamilienhäuser und Einfamilienhäuser aus Holz eine notwendige Ergänzung zu allem Edlen oben. Beide Bände von Holger Reiners stellen rund 50 verwirklichte Projekte vor, die manch einen zum Träumen verführen werden und andere der Verwirklichung von Träumen näherbringen werden.