Neue Klassikerausgaben


Philip K. Dick, Menschlich ist..., Haffmans

Der Zeichner Art Spiegelmann hat Dick mit Kafka verglichen. Und wir kennen einige, die behaupten würden, daß dies für Kafka eine ziemliche Schmeichelei ist. Mit Menschlich ist... setzt Haffmans nun die Edition der gesammelten Erzählungen Dicks fort, und somit gibt es wieder eine Gelegenheit, harte Nüsse zu knacken, scharf nachzudenken (und zwar nicht darüber, was menschlich ist), und sich davon zu überzeugen, daß Dick über alle Genregrenzen hinweg einer der besten Kurzgeschichtenautoren des 20. Jahrhunderts war.
 

Gustave Flaubert, Die Briefe an Louise Colet, Haffmans

Wie im Herbst von Gerd Haffmann hier in BiN avisiert, startet der Verlag nun endgültig seine Flaubertausgabe, und er tut dies mit einem Paukenschlag - erstmals liegen alle 181 Briefe Flauberts an Lousie Colet in deutscher Sprache vor. Dazu kommen die fünf einzig erhaltenen Briefe, die jene zurückschrieb, sowie 47 Tagebucheintragungen derselben, die sich alle mit Gustave befassen. Eingeleitet wird der fast 1000 Seite starke und nobel in Halbleinen gebundene Band von einem der wahren Flaubertexperten unserer Tage, von Julian Barnes nämlich, zu dessen Papagei bei dieser Gelegenheit auch wieder gern gegriffen werden darf. Außerdem gibt es etliche Abbildungen, Anmerkungen und ein Personen- und Werkverzeichnis. Kurzum: Jeder, der den Band hat, wird schon bald auf die Fortsetzung der Ausgabe gieren.
 

E.T.A. Hoffmann, Nachtstücke, Goldmann TB

Dieser jüngst erschienene Band darf getrost als Musterexemplar dafür dienen, wie man Klassikerausgaben im Taschenbuch machen sollte. Daß zunächst einmal die Wahl auf die Nachtstücke Hoffmanns fiel, ist insofern klug, als daß es sich bei ihnen um die wohl besten Texte für eine erste Hoffmann-Lektüre handeln dürfte - und man muß schließlich kein Prophet sein, um zu wissen, daß selbige noch viele vor sich haben. Desweiteren hat man sich bei der Wahl der Textfassung auf eine 1960 erschienene Winklerausgabe gestützt, die sich - von den üblichen leichten Modernisierungen (die freilich an und für sich eine Schandtat darstellen) abgesehen - konsequent an den Text der Erstausgabe gehalten hat. Zudem kommt der Band mit einem erhellenden Nachwort, sehr sorgfältigen Anmerkungen und mit umfangreichen bibliographischen Hinweisen, die auch eher entlegene Quellen enthalten. Und das ganze gibt's für weniger als 20 DM!
 

Ernst Kreuder, Die Unauffindbaren, Rotbuch

Arno Schmidt hat ihn bewundert, und Heinrich Böll hat ihn in den höchsten Tönen gelobt, und wenn einer auf so verschiedenen Seiten mehr als Anklang gefunden hat, dann liegt nahe, daß er wirklich gut war. Und das war Ernst Kreuder, und so verwundert es nicht nur, nein, es ärgert, daß fast keines seiner Bücher mehr lieferbar ist, daß man in Antiquariaten stöbern und häufig exorbitante Preise zahlen muß. Jetzt hat die von Wolfgang Ferchl und Hermann Kinder herausgegebene Bibliothek Rotbuch es unternommen, den 500 Seiten starken Roman Die Unauffindbaren, der 1948 zuerst erschienen ist, wieder zugänglich zu machen, wofür wir aufs äußerste dankbar sind. Mit diesem Buch, an dem einzig stört, daß ausgerechnet W.F. Schöller um ein Nachwort gebeten wurde, besteht die wunderbare Gelegenheit, einen Autor wieder zu entdecken, der zu den vierfünf besten Stilisten der deutschen Nachkriegsliteratur zu zählen ist.
 

Erich Kuby, Des deutschen Wunders liebstes Kind, Rotbuch

Des deutschen Wunders liebstes Kind, das war Rosemarie Nitribitt, die einen roten Mercedes 190 fuhr und am 1. November 1957 in Frankfurt ermordet aufgefunden wurde. Mit ihr fand man eine illustre Liste ihrer Kunden, die einen heftigen Skandal auslöste, denn die Nitribitt war, das sei hier für all jene angemerkt, die zu jung sind und auch den Film - mit Nadja Tiller in der Hauptrolle - nicht gesehen haben, in einem Gewerbe erfolgreich, dem gemeinhin eine sehr lange, ja, die längste Vergangenheit attribuiert wird. Und so ist Kubys Roman, der zur Zeit von Bernd Eichinger mit Heiner Lauterbach, Hannelore Elsner, Til Schweiger und vielen anderen für SAT 1 verfilmt wird - die Ausstrahlung ist für die Adventszeit (!) 1996 geplant - ein ins Satirische spielendes und exakt gezeichnetes Porträit der 50er Jahre, das sich nicht minder kopfschüttelnd wie grinsend lesen läßt.
 

Siegfried Lenz, Werkausgabe in Einzelbänden: I und II, Hoffmann und Campe

Mit den ersten beiden Romanen, die Siegfried Lenz 1951 und 1953 vorlegte - Es waren Habichte in der Luft und Duell mit dem Schatten - beginnt Hoffmann und Campe in diesem Frühjahr die auf 20 Bände angelegte Werkausgabe des 1926 Geborenen. Beide Romane hatten nach ihrem Erscheinen eine überaus gute Presse, und bemerkenswert ist wohl vor allem die Prognose Walter Lennigs aus einer Ausgabe der Welt von 1951. Darin heißt es: Siegfried Lenz, der Fünfundzwanzigjährige, ist mit seinem Roman Es waren Habichte in der Luft mit einem Elan über die Anfangsrunde gegangen, daß man wegen seiner Reserven nicht bange zu sein braucht. Wie weitblickend dieses Urteil war, ist hinlänglich bekannt.
Jedenfalls gibt die überaus schön gestaltete Hoffmann und Campe Ausgabe einen guten Anlaß ab, einmal wieder ein paar Jahre zurückzugehen, und Literatur zu lesen, die zu Recht 40 Jahre überstanden hat, und damit zweifelsohne noch lange nicht am Ende angelangt ist. Und das kann von vielem, was heute den Markt überschwemmt, ja nicht gerade vermutet werden.
 

Mary W. Shelley, Frankenstein, Goldmann TB

Das Taschenbuch für 14,90 DM bringt die gute Übersetzung Friedrich Polakovics, die einst bei Hanser erschienen ist. Ergänzt wird der Band - wie bei Goldmann üblich (s.o. bei Hoffmann) mit einem überaus nützlichen Apparat. Und daß die Lektüre des Romans zum Pflichtprogramm zählen sollte, müssen wir hier ja wohl kaum noch einmal besonders hervorheben.
 

Edith Wharton, Die flüchtige Stimme des Mondes, Piper TB

1995 erschien Die flüchtige Stimme des Mondes in deutscher Erstausgabe bei Piper - 73 Jahre, nachdem ihn die Autorin geschrieben hatte. Zwei Jahre zuvor hatte Edith Wharton den Pulitzerpreis für The Age of Innocence erhalten. Im Unterschied zu ihrem berühmtesten Buch spielt Die flüchtige Stimme des Mondes jedoch in Europa, wenn auch unter Amerikanern, die es sich an allen möglichen schicken Plätzen der ersten Welt gutgehen lassen. Dazu gehört freilich eine Menge Geld. Und über solche verfügen die meisten der Protagonisten auch - außer den Lansings. Diese verstehen sich jedoch meisterhaft auf die Kunst des Sich-aushalten-lassens. Doch bald kommt es zum Eklat.