5 x Sex & Erotik im Herbst 1996
Wendy Dennis, Kalt oder heiß, Knaur TB
Einen Guide für die Neunziger Jahre hat die lockenköpfige Wendy
Dennis zusammengestellt. So ist Kalt oder heiß gleichermaßen
Bestandsaufnahme und Regelbuch. Und dafür, daß die Autorin vom
amerikanischen Kontinent kommt, ist das Buch überraschend wenig prüde.
Trotzdem dürfen Überlegungen zu PC natürlich nicht
fehlen: so gibt es zum Beispiel ein Kapitel, das sich der Frage widmet,
ob es eine politisch untadelige Fellatio geben kann. Und den Trend
der Neunziger hat Wendy Dennis auch schon ausgemacht: Analsex.
Paul Frischauer, Weltgeschichte der Erotik, Knaur TB
In vier Bänden zeichnet der Berliner Professor Frischauer die Geschichte
der Erotik nach (das heißt genaugenommen stammt der vierte Band,
der sich mit der Gegenwart beschäftigt, von Gottfried Lischke und
Angelika Tramitz). Versehen sind alle Bände mit einer Vielzahl von
Illustrationen und Namensregistern, so daß das Werk auch bestens
zum Nachschlagen dienen kann. Während Frischauer vor allem Fakten
und Schilderungen präsentiert, die von äußerst erhellendem
(und manchmal gewissermaßen eindringlichem) Charakter sind, stört
an Band 4 ein wenig der gereckte Zeigefinger. Insbesondere Angelika Tramitz
neigt zu störendem Moralisieren. Aber wie auch immer, die vier Bände,
die zusammen für nicht einmal 55 Mark zu haben sind, gehören
in jede Bibliothek.
Chris G., Die Nummer, die Erfüllung bringt, Knaur TB
Chris G. hat eine Zeit lang ihr Geld mit Telefonsex verdient. Jetzt erzählt
sie von den stimmlichen Begegnungen mit über 50 Kunden, erzählt
von den Ticks und Tricks, von Genervtheit und Langeweile aber auch von
eigener Erregung, die allerdings die Ausnahme blieb. Die Lektüre ist
dabei ambivalent: einerseits vermittelt sie die Macht von Fantasie und
Wort, die ungeheuren Möglichkeiten, die wir einzig im Kopf besitzen
(und Männer am Telefon ejakulieren lassen), andererseits vermittelt
sie aber auch die Ödnis einer Gesellschaft, in der Lug und Trug der
Erfüllung mancher besser dienen als alles, was auch nur annähern
echt ist.
Harry Maurer, Göttlicher Sex, Goldmann TB
Auf über 630 Seiten versammelt Harry Maurer Portraits und Schilderungen
von 52 Männern und Frauen unterschiedlichsten Alters. Maurer hat mit
allen lange Interviews geführt, und seine Gesprächspartner erzählen
auf meist äußerst freimütige Weise aus ihrem Sexleben.
Dabei wird die ganze Palette des Vorstellbaren abgedeckt - von frühen
Verführungen über Homoerotik, SM und die besten Analtechniken
bis hin zu Abhängigkeiten und eher ausgefallenen Badewannenspielen.
Die Berichte sind alle äußerst persönlich, und fraglos
kommen sie einem gewissen Voyeurismus von Leser und Leserin entgegen.
Sallie Tisdale, Talk dirty to me, Berlin Verlag
Das Buch hat den besten Schutzumschlag der letzten Saison, aber vor allem
ist es ein äußerst kluges Buch, das Sallie Tisdale, eine der
prominentesten amerikanischen Feministinnen verfaßt hat. Es ist ein
Großessay über die unerträgliche Verklemmtheit einer Gesellschaft,
in der sich eine Videokethe rühmt, keine NC-17-Filme zu führen,
aber ansonsten den letzten und verwerflichsten Scheiß an Kindern
und Eltern bringt. Sallie Tisdales Bekenntnis zu einer intelligenten Form
der der Pornographie, die auf Weichzeichner genauso verzichtet wie auf
die ewige Repetition einer einmal festgelegten Ikonographie, sollte all
jenen, die gewisse Verbote aufrecht erhalten aber im Fernsehen vergnügliche
Darstellungen von Vergewaltigungen in Lederhosen zulassen, zu denken geben.
Ob Tisdales Philosophie des Sex freilich jene erreicht, dürfte
fraglich sein. Wer aber noch nicht völlig verbohrt ist (und wer zu
klaren Gedanken genauso fähig ist wie zu benebelndem Sex), der sollte
Tisdales Buch unbedingt lesen.