Neues aus vielen Sprachen im Herbst 1995
Ingvar Ambjornsen, Der letzte Deal, Nautilus
Deal - das ist hier in der spezielleren Bedeutung des Begriffs zu
verstehen. Zumindest zunächst einmal. Es geht also um Drogen, und
die sind in Norwegen genauso illegal wie bei uns - gewissermaßen
der Stoff aus dem Krimis sind. Ambjornsens (von der ausgezeichneten Gabriele
Haefs übersetzter) Krimi ist dabei ein erstklassiger Vertreter des
Genre.
Michelangelo Antonioni, Chronik einer Liebe, die es nie gab, Wagenbach
Daß manche Filmemacher auch hervorragende Autoren sind, hat uns Wagenbach
schon manchmal vorgeführt. Der seit dem Herbst vorliegende Band mit
34 (!) kurzen Erzählungen des Schöpfers von Zabriskie Point
(dem vielleicht ultimativen Film der 70er Jahre) unterstreicht nun (nochmals)
die Potenz des Künstlers Antonioni. Der Verlag schreibt, daß
Buch fordere äußerste Freimut des Lesers - man könne
das Buch jederzeit zuklappen, um einen Gedanken aufzuschlagen. Und
das ist so gut gesagt, daß es hier ohne Einschränkung und Ergänzung
stehen bleiben soll.
Christoph Bataille, Absinth, Elster
Die schmale in sechs Abschnitte gegliederte Erzählung des jungen Pariser
Autors erzählt die Geschichte eines Likörs. Doch diese Geschichte
ist auch die Geschichte eines Lebens, eine Geschichte von Emigration, Liebe
und Unglück. Batailles Stil wurde bei Erscheinen seines ersten Romans
(Annam) hoch gelobt. Dasselbe, das ist gewiß, wird ihm mit
dem Zweitling widerfahren.
Bora Cosic, Die Rolle meiner Familie in der Weltrevolution, Rowohlt
Berlin
1968 gab es schon einmal etwas auf deutsch von dem 1932 in Zagreb geborenen
Cosic. Daß dann 26 Jahre verstrichen bis Rowohlt-Berlin endlich etwas
Neues des in Kroatien lebenden Schriftstellers für deutsche Leser
zugänglich macht, läßt einen einmal mehr über die
Gesetze des Buchmarkts grübeln. Wie auch immer: jetzt kann man sich
ja freuen, denn Cosic Familienprotait in 19 grotesken Kurzkapiteln ist
ein rechtes Vergnügen.
Bora Cosic, Interview am Zürichsee, Rowohlt-Berlin
Fein!, nach Cosic Familie in der Weltrevolution hat Rowohlt-Berlin
im Herbst gleich noch das neueste Werk des lange unbeachteten Autors vorgelegt.
Interview am Zürichsee ist voller witziger (und manchmal heimtückisch
wirkender) Absurditäten, und man sollte gefestigten Geistes sein,
wenn man anfängt zu lesen - das ist ein wenig wie bei Flann O'Brien,
mit dem Cosic in diesem Werklein den Hang zur Fußnote teilt...
Fjodor Dostojewskij, Der Idiot, Roman
Es scheint wenig probat an dieser Stelle, Dostojewskij zu würdigen
(und über einen Roman zu berichten, dessen Bekanntheit derartig groß
ist), dafür ist es jedoch umso angebrachter, ein Projekt zu würdigen,
das von verlegerischen Tugenden zeugt, die wir dieser Tage manchmal schon
verloren glaubten. Die von Ammann initierte Neuübertragung der wichtigsten
Werke des großen Russen durch Swetlana Geier sucht nach Ebenbürtigem,
gerade da sich hier künstlerischer Mut mit ökonomischem vereinigen.
Beides wurde belohnt: Der erste Band (Verbrechen und Strafe) war
sowohl in den Feuilletons als auch in den Buchhandlungen ein gewaltiger
Erfolg, und es ist zu hoffen, daß selbiges auch dem zweiten - auch
äußerst luxuriös hergestelltem - beschieden sein wird.
Peter Hoeg, Der Plan von der Abschaffung des Dunkels, Hanser
So düster und geheimnisvoll wie der Titel ist der Roman selbst. Hoeg
- soeben als genialer Unterhalter gefeiert - erzählt hier die Geschichte
dreier Waisenkinder, die sich gemeinsam dem repressiven Erziehungsapparat,
dem sie ausgeliefert sind, zur Wehr zu setzen versuchen. Daß das
kein gutes Ende nehmen wird, ahnt man von Beginn, doch ein wenig wird das
Dunkel dann doch verdrängt...
Jon Michelet, Der Anschlag, Rotbuch
Nazis in Norwegen. Ja, sowas gibt es, und Jon Michelet hat einen packenden
Thriller daraus gemacht, in dem der Held, der gegen den Filz angeht, schließlich
selbst unter Mordverdacht gerät. Und die begnadete Gabriele Haefs
hat's übersetzt.
Wang Shuo, Herzklopfen heißt das Spiel, Diogenes
Es ist schon seltsam: Chinesisch ist die am weitesten verbreitete Sprach
der Welt, und wahrscheinlich haben die Chinesen ein Vielfaches an Autoren
& Dichtern als wir, und trotzdem wissen wir über die zeitgenössische
chinesische Literatur nicht vielmehr als über die, sagen wir, malayische.
Okay, Diogenes tut was dagegen, und zwar mit einem knallharten Thriller
des 37-jährigen Shuo, der in China Auflagen erlebt wie kein anderer.
Daß diese Rekordauflagen nicht von ungefähr kommen (und daß
hohe Auflagen eben doch mitunter Klasse nicht ausschließen), ist
einem spätestens nach der letzten (mit Herzklopfen gelesenen) Seite
des knapp 400 Seiten starken Romans vollkkommen klar.
Jean Vautrin, Groom, Rotbuch
An die Angst, denn sie steigt... - so lautet die Widmung in Vautrins
Roman, und sie steigt in ihm wie außer ihm. Lesen wird
zum Höllentrip, und die Betonung liegt auf beiden Wortteilen, denn
auch die Wirklichkeit ist in dem von einem Kinde aufgezeichneten Verbrechenstagebuch
bedroht. Wir empfehlen die Lektüre also nur an guten Tagen.