Neues Deutsches im Herbst 1995
Uli Aechtner, Too much TV, Rotbuch
Uli Aechtner hat eine rechte Fernsehkarriere hinter sich. Sie arbeitete
für einen französischen Sender in Bonn, war Redakteurin beim
SFB und ist inzwischen freie Mitarbeiterin des ZDF. Mit Too much TV
hat sie nun ihren ersten Roman vorgelegt, und der handelt - der Titel macht
ja eine vage Andeutung -, richtig, vom Fernsehen. Im Mittelpunkt steht
eine spannende Kriminalhandlung, aber nicht minder spannend sind die Einblicke,
die Aechtner in die Welt der Television gewährt, in der echte Geschichten
sterben und falsche Geschichten gemacht werden, in der Gesichter auf ihre
Sendungskraft geprüft und Firmenlogos in Kulissen geschoben werden.
Kurzum: Das Buch ist so gut, wie es die erstklassige Rotbuchreihe, in der
es erschienen ist, erwarten läßt.
D.B. Blettenberg, Harte Schnitte, Schweizer Verlagshaus
Ein Regisseur fahndet nach der Wahrheit über den berüchtigen
Lebensborn-Verein der Nazis. Eine Reporterin schreibt exotische Geschichten
für gehobene Frauenzeitschriften. Ein Entwicklungshelfer arbeitet
für die Zukunft Tansanias. Am Fuß des Kilimandscharo begegnen
sie sich. Blettenbergs Roman erzählt eine spannende Geschichte und
ist ein nachdenklicher Beitrag zum Umgang mit der Vergangenheit - besonders
der deutschen.
D.B. Blettenberg, Victoria Falls, Schweizer Verlagshaus
Blettenbergs schmales aber packendes Büchlein zeigt einen Mann auf
der Reise von Sambesi nach Okawango. Die Reise führt vorbei an den
Viktoriafällen, wo selbst Engel im Fluge anhalten, wie Livingstone
notierte, und hin zu einem Traum von Unabhängigkeit...
Simone Borowiak, Baroness Bibi, Eichborn
Was kann Baroness Bibi davon abhalten, einen exquisiten Nachtclub zu besuch
oder Heidegger zu lesen? Nun, dafür braucht es schon einen guten Mord.
Wenn es gar um die Aufklärung der fiesen Kanzlermorde geht, sind die
Adlige und ihr Fraund, der Pathologe Marquardt, freilich nicht mehr zu
halten.
Simone Borowiak ist die wohl beste Schülerin der Neuen Frankfurter
Schule, und ihr Schundroman für die gebildeten Stände
eines der beiden witzigsten deutschen Bücher des letzten Herbsts.
Friedrich Dürrenmatt, Der Pensionierte, Diogenes
Im Nachlaß des großen Schweizer Schriftstellers fand man das
1969 begonnen Fragment eines Kriminalromans. Der sehr aufwendig gemachte
und jüngst bei Diogenes erschienene Band enthält neben der gesetzten
Fassung letzter Hand (Dürrenmatt arbeitete bis 1979 immer wieder an
dem Entwurf) sowohl ein Faksimile des Manuskripts als auch ein Faksimile
des letzten Typoskripts, das allerlei handschriftliche Korrekturen und
Änderungen beinhaltet. Damit ist der Band aber auch ein faszinierende
Dokument des Dürrenmattschen Schreibprozesses.
Abgerundet wird der Band durch ein erhellendes Nachwort von Peter Rüedi
und einen sorgfältigen editorischen Bericht von Anna von Planta und
Ulrich Weber.
Georg Eisenhauer/Klaus Puth, Die Märchen vom kleinen Schlangenwurm,
Eichborn
Wer nicht sagte, daß Georg Eisenhauers von Klaus Puth illustrierte
Märchen zu den schönsten und rührendsten Büchern des
letzten Jahres zählt, der kann es nicht in der Hand gehabt haben.
Die Texte für Erwachsenen und Kinder ohne Spiegel - drei von
ihnen sind nämlich nur mit einem solchen zu lesen, und das hat seinen
Grund (der nicht schwer zu erraten sein dürfte) - die Texte sind mal
so traurig wie Texte nur in Märchenbüchern traurig sein können
und mal genauso heiter.
Man sollte sich also darauf einstellen, daß Buch mindestens zweimal
kaufen zu wollen, einmal zum Verschenken an den liebsten Freund oder die
liebste Freundin und einmal zum behalten.
Gunter Gerlach, Katzenhaar und Blütenstaub, Rotbuch
Katzenhaar und Blütenstaub ist der zweite Kriminalroman Gerlachs
um den Allergiker und Hobbydetektiv Bartzsch. Für den ersten, Kortison,
erhielt er den Deutschen Krimipreis 1995, und das zu Recht. Auch
Katzenhaar und Blütenstaub - erzählt aus der Sicht eines
Freundes von Bartzsch - ist ein überdurchschnittlicher Krimi, wiewohl
er nicht die Klasse von Kortison hat. Das mag schlicht daran liegen,
daß sich viele der Idiosynkrasien Bartzsch' in ihrem Unterhaltungswert
abgenutzt haben. Insofern ist zu hoffen, daß Gerlach, dessen Erfindungsreichtum
wir spätestens seit St. Pauli Weekend wirklich zu schätzen
wissen, sich für seinen nächsten Roman etwas Neues einfallen
läßt.
Robert Gernhardt, Wege zum Ruhm, Haffmans
Gernhardt ist, das ist spätestens seit seinem Band Glück Glanz
Ruhm (der Titel findet nach uns vorliegenden Informationen in gewissen
Kreisen alljährliche Verwendung als Neujahrswunsch), anerkanntenmaßen
Experte in Sachen Ruhm. Sein Wissen teilt er seit neustem jedoch auch mit
seinem Patenkind Horst Streugöbel, und beide teilen es seit noch neuerem
mit den Lesern Gernhadts allerneuesten Buchs. Dies nämlich enthält
nämlich 14 Briefe von Onkel Robert an Horst. Die ersten 13 bilden
das erste Kapitel und geben mannigfache Hilfestellungen - so handeln
sie beipielsweise von der richtigen Herkunft und auch, ja, alles will bedacht
sein, vom richtigen Sterben. Das zweite Kapitel enthält einen sehr
langen Brief und trägt den Namen Die Warnung...
Robert Gernhardt, Weiche Ziele, Haffmans
Ich geh zu Deinem Grabe nicht/Ich steh an Deinem Grabe nicht/Ich knie
vor Deinem Grabe nicht/Ich flieh vor Deinem Grabe nicht -//Du kommst ja
auch nicht/zu meinem/am Ende liegt jeder/in seinem.
Trotz heißt dieses Gedicht Gernhardts, und es steht im
Kapitel Trauer. Und Trauer ist eines von sieben weichen Zielen.
Gernhardts Gedichte aus dem Jahrzehnt von 1984 bis 1994 sind zwar nachdenklicher
als die aus, sagen wir, Wörtersee, aber sie untermauern seine
Stellung als einer der beiden großartigsten Stilisten zeitgenössischer
deutschsprachiger Literatur.
E.W. Heine, An Bord der Titanic, Goldmann
E.W. Heine ist der deutsche Großmeister des Makabren, und seine Geschichten
halten allesamt dem Vergleich mit Roald Dahl oder dem unserer Ansicht nach
noch besseren Stanley Ellin stand. An Bord der Titanic versammelt
17 seiner neuesten Miniaturen, und, wenn man spannende Träume wünscht,
ist der Band nachgerade ideal für das Nachttischchen...
Hans Lebert, Das weiße Gesicht, Europaverlag
Sieben Erzählungen versammelt dieser überaus bemerkenswerte Band
des radikalen Sprachkünstlers, wie DIE ZEIT, auf deren Urteil
man ja manchmal wenigstens vertrauen kann, den 1993 verstorbenen Neffen
Alban Bergs einst nannte. Alle handeln sie von der Brüchigkeit des
zivilisierten Lebens, davon wie Kleinigkeiten Leben ändern können.
Begleitet werden sie von einem klugen Essay Jürgen Eqyptiens.