Ortsbegehungen.

Steffen Huck rühmt Dumont visuell. 

Zu rühmen ist hier eine Reihe, die dem bibliographischen Wesen nach zur Gattung der Reiseführer zählt, die aber, um die Pointe vorwegzunehmen, weit mehr ist. Von Dumont visuell ist die Rede, und alles fängt gleich mit dem ersten Griff an: Nimmt man einen Band aus der Reihe zur Hand und schlägt ihn an zufälliger Stelle auf, dann - soviel ist gewiß - wird man ihn so schnell nämlich nicht wieder beiseite legen. Spielen wir das Spiel und greifen zu New York - klapp! - Seite 152. 

Sofort der fällt der Blick auf eine farbige, perspektivische Zeichnung des ehemaligen Singer-Baus. Elegant ist sie in die hochformatige Seite montiert (der Turm spitzt sich in den Text hinein), und wir entnehmen der Überschrift links, daß er irgendwo in der Nähe der Liberty Plaza gestanden hat. Wo nur ist die? Wir blättern 15 Seiten zurück und blicken aus der Vogelperspektive auf Lower Manhatten - aber nicht durch das Auge irgendeines langweilig auf einen Hubschrauber montierten Perspektivs sondern wiederum durch die Augen eines Zeichneres, der mit einer Fish-Eye auf die Insel blickt. Auf knapp 500 Quadratzentimeter sehen wir jetzt über 40 - durch Nummern markierte - Hochhäuser, sehen im Hintergrund die Brooklyn Bridge und das Empire State Building. Und auch die Liberty Placa ist schnell ausgemacht. Aber was ist das dort im Osten mit der grünen Spitze? Ah!, Wall Street 40. Und was hat es mit dem Bau auf sich? Nun, Severance & Matsui haben ihn 1929 erbaut, 69 Etagen hat er, und für wenige Tage war der Turm der höchste der Welt. All dies haben wir schnell auf Seite 161 gefunden, über der ein Zitat von Louis-Ferdinand Celine thront - eines über Geld, Gold und Türen. Aber wie war das überhaupt mit Wall Street und der New York Stork Exchange? Noch bevor wir die Frage überhaupt richtig formuliert haben, finden wir drei Seiten weiter einen kurzen Abriß ihrer Geschichte - wieder gespickt mit Fotos und Zeichnungen und diesmal auch Gemälden und Zeitungsausrissen. Der Black Friday läßt grüßen. 

Was wir mit dem kleinen Experiment, das wir hier widerwillig abbrechen, mit unserer Ortsbegehung bewirken wollen ist dies: Wir wollen versichern, daß wir keine anderen Büchern kennen, die auf derart gelungene Weise Zusammenhänge eines geographischen Gebildes verdeutlichen wie diese. Und das ist sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinn zu verstehen. Denn die Zeichnungen, dh sie vor allem, ermöglichen es Gebäude und Plätze in räumlichen Bezug zu stellen, und historische Abbildungen, Gemälde, Zitate, Biografien usf. setzen einen fürderhin instande, auch die historischen, sozialen und kulturellen Bezüge herzustellen. Da dies jedoch musivischen Charakter hat, sucht man nach immer weiteren Steinchen - und wird fündig in den Bänden. 

Damit ist vielleicht das Wesentliche aber noch längst nicht alles Bemerkenswerte skizziert. (Und dazu werden wir es hier wohl auch nicht bringen.) Aber zwei Dinge wollen wir dann wenigstens doch noch anführen. So ist, da wir schon bei den Zeichnungen waren, die räumliche Querschnittzeichnung eine herausragende Spezialität der Illustratoren von Dumont visuell. Sie brechen von Bauten Decken und Wände ein, schneiden in den Keller und vermitteln so einen X-Ray-Blick, wie wir ihn uns sonst nur wünschen können. Allein dafür würde es sich schon lohnen, die Bände zu erwerben! - die, und damit sind wir beim zweiten, unglaublich günstig sind. Schaut man sie an, examiniert Papier, Druck und Graphik - denkt an die Stunden, die Leute ersten Ranges damit verbracht haben müssen, und die Kosten, die ordentlicher Gold- und Silberdruck mit sich bringt, so möchte man meinen, der Verkaufspreis müßte in elitären, dreistelligen Regionen liegen. Tatsächlicher liegt er aber unter 50 DM, was paradox anmutet, Wunderglauben induziert oder jenen an großzügige Mäzene. Das Geheimnis ist aber wohl ein anderes: die Bücher werden nämlich in internationaler Koproduktion hergestellt, so daß viele Kosten geteilt werden können. 

Fassen wir also zusammen: Interessiert einen ein Ort auch nur irgendwie - sei es, daß man an ihn verreisen will, sei es, daß man ihn gerade besucht hat, sei es, daß man ein Buch liest, daß in ihm spielt, oder seien es auch ganz andere Gründe - und gibt es schon einen Dumont visuell Band über den Ort, sollte man auch nicht eine Sekunde zögern, in die nächste Buchhandlung laufen und ihn dort blind erstehen. Dann nämlich hat man die ganze Freude zuhause und steht nicht zulange, selig grinsend, in der Buchhandlung anderen im Weg, die weniger glücklich sind. 
 
Bislang erschienen sind die Bände: Ägypten, Amsterdam, Bretagne, Florenz, Griechenland, Irland, Istanbul, Kreta, London, Marokko, New York, Paris, Prag, Provence, San Francisco, Singapur, Thailand, Tunesien, Venedig und Wien