Der Spion, der aus der Kälte kam

von Julian Weiss.

Der Spion, der aus der Kälte kam – mit diesem Buch wurde der damals 32jährige John Le Carre 1963 über Nacht berühmt.
Heute ist das Buch 32 Jahre alt, aber es hat nichts von seiner damaligen Faszination verloren. Man liest es und weiß sehr genau, warum Graham Greene meinte, dies sei der beste Spionageroman, den er je gelesen habe. Und man ist sich sicher, daß es auch die nächsten Jahrzehnte überdauern wird, daß dieses Buch bleiben wird.

Alec Leamas war Leiter des Stützpunkts Berlin des britischen Geheimdiensts. Nachdem er seinen besten Informanten verliert,
wird er nach London zurückbeordert. Nach außen scheint es, als würde er aufs Abstellgleis gestellt, in Wirklichkeit gehören die Abkommandierung in die Buchhaltung, der Rauswurf nach dem Griff in die Kasse, der Absturz, der nur durch Alkohol
abegefedert wird, der gewaltsame Niederschlag eines Krämers und schließlich das Gefängnis, in Wirklichkeit gehört dies alles
zu einem Plan, der darauf abzielt, Leamas für den Osten käuflich erscheinen zu lassen. Der Plan gelingt, und Leamas wird durch mehrere Hände gereicht – immer weiter nach oben; immer mehr nähert er sich Mundt, dem starken Mann in der Abwehr der
Deutschen Demokratischen Republik, dessen Tod das Ziel von Leamas Operation ist.

Aber es gibt auch eine Frau, Elisabeth Gold, Liz. Liz, die sich in Leamas verliebt, während er nach seinem scheinbaren
Rauswurf aus dem Geheimdienst in einer Bibliothek arbeitet. Liz, an die Leamas denkt, nachdem er sich von ihr verabschiedet
hat und zurück ist in der Kälte: Da wurde ihm bewußt, was ihm Liz gegeben hatte: etwas, um dessentwillen er zurückkommen mußt, sollte er je wieder nach England heimkehren. Es war die Liebe zu den kleinen Dingen – der Glaube an das alltäglich Leben. Einfach etwas Brot in kleine Stücke brechen, es in einer Papiertüte an den Strand hinunternehmen, um es an die Möwen zu verfüttern. Es war eine Sehnsucht, einmal jene Nebensächlichkeiten tun zu dürfen, die ihm bisher verwehrt gewesen
waren, was auch immer es betraf: Brot für die Möwen oder die Liebe.

Es ist gesagt worden, Frauengestalten seien Le Carres Sache nicht. Das Urteil hält sich seit Jahren, und es ist unbegreiflich.
Elisabeth Gold ist genauso lebendig wie Alec Leamas. Und wenn sie beide wieder zusammentreffen, im Osten, in der DDR, vor einem Tribunal, von dem nicht weiß, wen es anklagen und verurteilen wird, dann hat der Roman seine größten Momente.
Leamas weiß nicht, wie ihm geschieht, als Liz als Zeugin bennant und vorgeführt wird. Er hatte sie in Sicherheit und Unschuld
gewähnt. Er hatte daraum gebeten, sie aus dem Spiel rauszuhalten. Was war passiert? Welches Spiel spielte er da eigentlich?

Es scheint viele Wahrheiten zu geben, und es dauert, bis Leamas (und mit ihm der Leser) die Sache kapiert. Aber da ist kein
Aufatmen (oder vielmehr nur eine Sekunde, in der man irrtümlicherweise entspannen zu können glaubt): Die Wahrheit ist
gefährlich. Und der Roman treibt einem atemlosen Finish entgegen. Alec und Liz fliehen die Kälte. Tief prägen sich diese Bilder
ein. Der Schluß ist ein Foto. Ein Foto, das man – wie das ganze Buch – nicht wird vergessen werden.
 

John le Carré: Agent in eigener Sache

Dankbar sind wir dem Verlag Kiepenheuer & Witsch, einen der letzten Show-Down im Ost-West-Kriminalgefüge (von 1979) neu aufgelegt zu haben. George Smiley, Geheimdienstchef a.D., tourt als Agent in eigener Sache kreuz und quer durch das vermauerte Europa, um seinen ehemaligen Gegner Karla zu erledigen. Le Carrés Romane werden von raffiniert ausgeklügelten Kriminalhandlungen und unglaublich realitätsnahen Schilderungen der Polit- und Wirtschaftsverflechtungen getragen; die Fiktion ist so plastisch und wortgewaltig umgesetzt, dass das Kino im Kopf bunter und brillanter und atemberaubender kaum sein könnte. Neben Der Nachtmanager (1993) und Der Schneider von Panama (1997) zählt Agent in eigener Sache zur LeCarré-Pflichtlektüre, nur zu übertreffen vom jüngst auf Deutsch erschienenen Neuling Single & Single. Aber das ist eine andere Geschichte.

Kiepenheuer & Witsch, fester Einband 1998.