Michael Dibdin

 Jetzt kommt die Farce.

Ein Gespräch mit Michael Dibdin.

 
Michael Dibdin, Jahrgang 1947, ist mit seinen Krimis um Aurelio Zen zum Superstar der anglo-amerikanischen Krimi- und Thrillerszene geworden. Der Daily Telegraph nannte ihn den unbestrittenen Champion, und eine illustre Reihe Rezensenten schloß sich an. Soeben nun ist Dibdin Non-Zen Dark Spectre auf deutsch erschienen – wie auch die Zen-Romane bei Goldmann, und zwar unter dem Titel Die Insel der Unsterblichkeit. Der Roman, den wir vor wenigen Wochen schon kurz hier vorgestellt haben, begeistert nicht nur durch seine Spannung sondern vor allem auch durch eine Sprache, die – unter Verzicht auf jede Effekthascherei – den Leser in den Bann zieht.

Anläßlich der Vorstellung von Dark Spectre weilte Dibdin Mitte März in München und Berlin. Wir trafen ihn im Berliner Kempinski und sprachen mit ihm unter anderem über sein Verhältnis zu William Blake, die Planung eines Plots, den Tagesablauf in einem Schriftstellerhaushalt und John Travolta.

BiN: Um mit einer vielleicht etwas seltsamen Frage zu beginnen: Haben Sie Jim Jarmuschs Dead Man gesehen?
Michael Dibdin: Nein, habe ich nicht. Aber ich habe gehört, daß es da gewisse Parallelen zu meinem Buch gibt.

BiN: Und haben Sie eine Erklärung dafür? Ich meine, daß zwei zeitgleich entstandene Werke sich völlig unabhängig voneinander auf William Blake beziehen?
MD: Ich fürchte, das ist reiner Zufall. Ich habe vor rund 25 Jahren an der Universität ein Seminar über Blake besucht, und da haben wir uns vor allem mit dem Spätwerk beschäftigt. Und schon damals dachte ich, daß man, wenn man nur ein wenig verrückt wäre, glauben könnte, Blake hätte aus göttlicher Inspiration geschöpft. Und Blake hat sowas ja auch immer wieder behauptet. Er hat zwar nicht gesagt, daß er das Wort Gottes verkünde, aber daß seine Inspiration aus einer Art himmlischen Quelle stamme, das hat er schon gemeint. Und als ich eines Tages im Seminar saß und dem Professor zuhörte, wie er über die Gedichte sprach, dachte ich wirklich, daß jemand denken könnte, so ists, Blake hat das fünfte Evangelium geschrieben.

BiN: Aber Sie hatten damals noch nicht die Idee, aus dem Stoff ein Buch zu machen?
MD: Nein, ich habe überhaupt nicht daran gedacht, das in irgendeiner Art und Weise zu verwenden. Sehen Sie, als Autor hat man des öfteren Ideen, die einfach winzige Bruchstücke darstellen - Gedankenbruchstücke, aus denen man manchmal vielleicht
eine Kurzgeschichte machen kann. Und manchmal hebt man sie einfach so lange auf, bis sie sich mit anderen verbinden und etwas Größeres ergeben. Und genau so ging es mir mit Blake, nur daß es eben sehr lange gedauert hat. Und woher Jarmusch seine Verbindung zu Blake hat - keine Ahnung; da werden Sie ihn selbst fragen müssen.

BiN: Hinsichtlich Dark Spectre gibt es noch eine andere Sache, die mich neugierig macht. Das Buch hat ja die beiden parallelen Handlungen, die sich kapitelweise abwechseln. Haben Sie denn die Kapitel in derselben Reihenfolge geschrieben, in der sie jetzt im Buch stehen?
MD: Ja.

BiN: So daß Sie von Kapitel zu Kapitel die Perspektive wechseln mußten...
MD: Ja, genau. Ich brauchte beide Perspektiven für die Struktur des Buchs. In den ungeraden Kapiteln folgt man ja gewissermaßen dem Fokus einer Kamera - ohne jeden Kommentar zum Geschehen. Man sieht, was passiert, hört, was die Leute sagen, und schaut den Ermittlungsarbeiten zu, aber es scheint keinerlei Zusammenhang zwischen den verschiedenen Ereignissen zu geben, so daß alles nach Willkür und Chaos aussieht. Als ich in Amerika auf Tour war, bevor ich hierher kam, meinte ein Interviewer, Dark Spectre sei ein Buch, das acht verschiedene Eröffnungskapitel habe. Es scheint achtmal neu zu beginnen. Und auf gewisse Weise stimmt das natürlich. Einerseits wollte ich auch eine gewisse Konfusion erzeugen, aber andererseits wurde mir klar, daß das alleine ein zu großes Durcheinander für den Leser anrichten würde, deshalb wollte ich daneben auch eine kontinuierliche Geschichte haben, deren Fluß jedoch immer wieder unterbrochen wird. Und natürlich wird einem irgendwann klar, daß es für alles, was da passiert und berichtet wird, irgendeinen Grund geben muß. Und die geraden Kapitel, die in der Ersten-Person-Singular erzählt sind, liefern dann gewissermaßen den Hintergrund zu allem, so daß der Leser, wenn in Kapitel 18, glaube ich, der eigentliche Grund für die Mordserie aufgedeckt wird, die Hintergründe schon längst kennt - wodurch, wie ich hoffe, das ganze glaubhafter und echter wirkt.

BiN: Fangen Sie denn stets mit dem Anfang an und hören mit dem Ende auf, wenn Sie ein Buch schreiben?
MD: Ja. Ich denke doch. Das heißt, manchmal, wenn ich glaube, daß eine Szene, die irgendwann später stattfinden soll, von ganz besonderer Bedeutung ist, skizziere ich sie schon einmal vorab. Aber alles in allem versuche ich das wirklich zu vermeiden, denn oft ändern sich meine Pläne während des Schreibens.

BiN: Dahin geht auch schon die nächste Frage: Sie kennen den Plot also noch nicht genau, bevor Sie mit dem ersten Kapitel anfangen?
MD: Nun, ich weiß, wo das Buch anfangen wird, und ich weiß auch, wo es enden wird, und ich glaube zu wissen, wie ich vom Anfang zum Ende komme. Aber in der Praxis passieren einfach manche Dinge, während ich schreibe, so daß die Route, die vom Anfang zum Ende führt, hinterher immer anders aussieht als anfangs geplant - und zwar manchmal ziemlich anders. Wissen Sie, das ist, wie wenn man einen Urlaub plant: Sie wissen, daß Sie in eine bestimmte Stadt fliegen, und Sie wissen auch, daß Sie von einer anderen Stadt aus zurückfliegen werden. Das steht fest. Und dann kaufen Sie eine Karte und einen Reiseführer, und Sie denken, ja, da sollte ich lang fahren, und dort sollte ich eine Weile bleiben, und dies muß ich mir unbedingt anschauen. Aber dann passiert oft was - also jedenfalls mir - sobald man angekommen ist. Sie treffen zum Beispiel jemanden, sagen wir, in einer Bar. Und der sagt Ihnen dann, Sie sollten sich unbedingt etwas ganz anderes anschauen, und dann fahren Sie halt dorthin. Oder Sie haben vor, sich etwas ganz Bestimmtes anzusehen, aber dann regnet es, oder es ist zu kalt - also beschließen Sie, was anderes zu machen. Und ziemlich schnell sind all Ihre alten Pläne Makulatur. Ich meine, natürlich werden Sie nach wie vor das Land, in das Sie geflogen sind, erkunden, und Sie haben auch nach wie vor die Tickets für Hin- und Rückflug, aber alles andere mag sich ändern.

BiN: Ich nehme an, so macht das auch mehr Spaß.
MD: Ja, mir auf jeden Fall. Ich meine, ich weiß, es gibt einige Autoren, Frederick Forsyth zum Beispiel, die planen jeden einzelnen Aspekt in jedem einzelnen Kapitel, bevor sie anfangen zu schreiben, und zwar so genau, daß sie wissen, was auf jeder Seite später stehen wird. Agatha Christie hat auch so gearbeitet. Sehen Sie, diese Leute brauchen sechs bis acht Monate, um ein Buch zu planen, und dann schreiben sie es schnell - das ist dann ja auch so, als würde man ein Schulbuch schreiben. Mir ist das viel zu mechanisch, und - und einfach zu langweilig. Ich finde, es ist viel aufregender und interessanter und letztlich auch kreativer, ein dynamisches Verhältnis zu einem Text zu haben. Was mir zum Beispiel ständig passiert, ist, daß ich eine Figur einführen muß, um einen bestimmten Schritt, der für den Plot nötig ist, möglich zu machen. Sagen wir, es gibt da eine Person, die will von A nach B, also brauche ich einen Taxifahrer, der sie transportiert. Natürlich geht sowas mit ein paar Sätzen, aber manchmal sagt der Taxifahrer irgendetwas, und es entwickelt sich ein Gespräch. Und, eh man sichs versieht, ist der Taxifahrer eine richtige Figur im Buch geworden. Und später taucht er dann in einem ganz anderen Zusammenhang wieder auf und ändert dann vielleicht sogar den Lauf der Handlung. Also, sowas macht für mich das ganze Interesse am Schreiben aus.

BiN: Okay, Sie wissen also, daß Sie für den Plot von A nach B wollen. Aber wenn Sie sich den Plot ausdenken, tun Sie das dann auf eher abstrakte Weise - also in der Art X tötet Y aus diesem und jenem Grund und wird überführt, weil er dies und das übersehen hat - oder denken Sie am Anfang auch schon sehr über die Personen nach, so daß Sie vielleicht wissen, daß Sie über eine ganz bestimmte Figur schreiben wollen und dann darüber nachdenken, was diese Figur wohl machen wird?
MD: Das ist unterschiedlich. Ich habe zum Beispiel ein Buch mit dem Titel Dirty Tricks geschrieben, das wurde hier von Econ
veröffentlicht - ich glaube, es heißt auf deutsch Schmutzige Tricks - und in diesem Buch wollte ich über einen ganz bestimmten Typ schreiben. Ich hatte ein sehr deutliches Bild von ihm vor Augen: ein vierzig Jahre alter gescheiterter Lehrer, der lange im Ausland gearbeitet hat, und dann in das England Thatchers Mitte der Achtziger zurückkehrt und an jeder Ecke Yuppies trifft. Das einzige Thema ist Geld, und das stimmt ihn deprimiert und zornig, so daß er gewisse Handlungen plant, zu denen die Verführung der Frau eines Geschäftsmannes gehört. Also, da habe ich wirklich mit der Figur angefangen und mit einer groben Idee für den Plot, und alles andere war dem untergeordnet. Aber bei anderen Büchern, zum Beispiel bei Dark Spectre, habe ich wirklich mit dem Plot angefangen. Bei Dark Spectre war es die Idee mit der Sekte und die Idee mit den Zufallsmorden. Das sollte einfach völlig mysteriös sein, weil es scheinbar keinerlei Motiv gibt. Und dann mußte ich dafür die Charaktere entwickeln, die in genau diesem Zusammanhang auftreten würden.

BiN: Wie oft überarbeiten Sie denn einen Text?
MD: Normalerweise erstelle ich mindestens drei Fassungen.

BiN: Und Sie fangen mit der zweiten Fassung an, nachdem Sie die erste abgeschlossen haben?
MD: Genau.

BiN: Sie gehen also nie zurück, während Sie noch mitten im Buch sind?
MD: Nein, nie. Ich schreibe die erste Fassung von vorne bis hinten durch, das heißt, ich muß mich korrigieren, eine Ausnahme gibt es da doch. Wie ich ja vorhin sagte, ändere ich meine Pläne oft während des Schreibens. Nun stellen Sie sich vor, Sie haben acht oder zehn Kapitel geschrieben, und plötzlich haben Sie eine wundervolle Idee, die die Dinge in Kapitel 11 viel interessanter macht. Aber das hat manchmal Kosequenzen für das, was in, sagen wir, Kapitel 5 oder 3 passiert ist. Und in diesen Fällen gehe ich stets zurück und passe die alten Kapitel an - anders vergißt man das womöglich, und am Ende hat man völliges Chaos angerichtet. Aber sonst versuche ich einfach nur, flüssig voranzukommen. Ich meine, es gibt manche Tage, an denen schaffe ich nur ein paar Absätze, und andere, da schreibe ich vierfünf Seiten. Aber, wieviel auch immer ich schaffe, ich arbeite so lange, wie es läuft. Dann höre ich auf und fange am nächsten Tag wieder an. Für mich ist das die Methode, die den besten Rhythmus im Buch erzeugt. Und ich glaube, das ist sehr wichtig, weil jedes Buch seinen ganz eigenen natürlichen Rhythmus besitzt. So entsteht die erste Fassung, und wenn ich dann durch bin, lege ich das Manuskript für ein oder zwei Wochen zur Seite. Dann nehme ich es mir wieder vor und lese es in einem Stück durch, wobei - also, ich muß dazu sagen, ich arbeite mit einem Computer -

BiN: Was schon wieder die nächste Frage gewesen wäre...
MD: Ich scheine alle Fragen zu antizipieren - tut mir leid. Also ich arbeite seit rund zehn Jahren mit dem Rechner, und ich komme damit sehr gut zurecht. Ich weiß, einige Leute haben Vorurteile gegen diese Maschinen, aber ich bin jemand, der sehr viel ändert, und das geht mit einem Textverarbeitungsprogramm einfach viel leichter - Text hin- und herzuschieben, Passagen streichen und so fort. Also ich schreibe die erste Fassung direkt in den Rechner, und dann drucke ich sie aus. Und wenn ich den Ausdruck dann lese, schmiere ich in ihm rum...

BiN: ... und gehen dann zurück zum Rechner.
MD: Genau. Und bei der Umsetzung der Änderungen kommt es dann zu weiteren Änderungen. Üblicherweise ist der Schritt von der ersten zur zweiten Fassung der wirklich große. Ich schätze, daß sich da so 20 bis 25 Prozent des Texts ändern. Wenn ich damit durch bin, wiederholt sich das ganze, nur daß das diesmal eher Polierarbeit, Feinschliff ist. Dann schicke ich das Manuskript an meinen Lektor nach London - meine Bücher kommen immer zuerst in England heraus.

BiN: Und der Lektor ist dann der erste, der das Manuskript zu Gesicht bekommt?
MD: Nun, seit zwei Jahren lebe ich ja in Seattle, und zwar zusammen mit einer Autorin namens Catherine Beck, sie ist auch Kriminalschriftstellerin. Ich glaube, ein paar ihrer Bücher sind auch in Deutschland erschienen. Also, jedenfalls, das ist jetzt das erste Mal, daß ich mit einer Autorin zusammenlebe, und ich habe die Erfahrung gemacht, daß es nicht viel Sinn hat, Manuskripte Leuten zu zeigen, die nicht selbst schreiben. Also, vielleicht sollte ich da nicht zu sehr verallgemeinern, aber ziemlich oft ist es doch so, daß Leute, die nicht selbst schreiben, mit einem Manuskript nichts anfangen können. Das sieht einfach zu vorläufig für sie aus, und dann kommt es vor, daß sie Sachen sagen, die eher wenig hilfreich und manchmal verletzend sind. Aber jetzt, wo ich die Möglichkeit habe, das Manuskript jemandem zu zeigen, der selbst schreibt, sind viele Dinge einfacher für mich. Also zeige ich das Manuskript jetzt immer erst Catherine.

BiN: Und wann? Erst, wenn Sie die erste Fassung fertiggestellt haben? Oder schon zuvor einzelne Kapitel?
MD: Neinnein. Ich würde ihr nichts zu lesen geben, was in meinen Augen nicht kurz davor ist, wirklich die allerletzte Fassung zu sein. Aber ich rede mit ihr darüber - wenn ich zum Beispiel irgendein Problem habe. Es gibt manchmal diese Situationen, in denen man eine Szene hat, die irgendwie nicht stimmig scheint, und dann hat man keine rechte Lust, daran zu arbeiten, und man findet auch nicht raus, worin das Problem eigentlich besteht. Und das läuft immer gleich ab: Es gibt ein objektives Problem mit der Szene, und das Unterbewußtsein sagt einem, daß das anders sein sollte, und so hat man eine Blockade, man kann einfach nicht schreiben. Und früher hat mich das typischerweise drei oder vier Tage gekostet, an denen ich rumsaß und vor mich hin grübelte, bis dann plötzlich - klick - die Einsicht kam. Dadurch, daß ich jetzt sowas mit Catherine diskutiere, kann ich die dreivier Tage auf 15 Minuten reduzieren. Da sie selbst Krimiautorin ist, denkt sie natürlich die ganze Zeit in denselben Mustern und kennt dieselben Probleme. Also gehe ich zu ihr und schildere ihr das Problem, und dann sagt sie, na, warum machst du das nicht so. Und was dann typischerweise passiert ist entweder, daß sie eine Idee hat, die ich nur noch ein bißchen abändern muß, oder sie sagt etwas und ich antworte, nein, so geht das nicht, aber so kann man's machen.

BiN: So daß das dann der Anstoß zu einer Lösung ist...
MD: Genau, das beschleunigt einfacht den ganzen Prozeß.

BiN: Wie sieht Ihr typischer Arbeitstag aus? Wann stehen Sie auf?
MD: Zu ziemlich normalen Zeiten. Irgendwann zwischen sieben und acht. Um neun fange ich dann üblicherweise an, ernsthaft zu arbeiten. Und ich versuche, mindestens drei Stunden dabei zu bleiben, im Schnitt eher vier, manchmal fünf, und wenn es extrem gut läuft, werden es vielleicht einmal sechs. Aber ich versuche, nicht zuviel zu machen. Ich habe einfach festgestellt, daß wenn ich, sagen wir, montags einen 6-Stunden-Tag habe, daß es dann dienstags aller Wahrscheinlichkeit nach höchstens anderthalb werden. Ich weiß nicht, woran das genau liegt, aber es ist ganz so, als würde man sich wirklich körperlich überanstrengen. Also versuche ich aufzuhören, solange ich noch Reserven habe, und dann laß ich es einfach liegen und vertreibe mir den Nachmittag mit anderen Dingen.

BiN: Und Catherine arbeitet im selben Rhythmus, so daß Sie die Nachmittage gemeinsam frei haben?
MD: Mehr oder weniger. Allerdings hat sie drei Kinder, nach denen sie nachmittags, wenn sie aus der Schule kommen, noch sehen muß.

BiN: Und irgendwann ist dann die dritte Fassung fertig.
MD: Die ich dann an meinen Lektor nach London schicke. Ich versuche, mindestens zweimal im Jahr nach England zu kommen, denn ich habe da ja noch Freunde und Familie. Jedenfalls, bei einem dieser Besuche versuche ich, mich mit ihm zu treffen, um über das Manuskript zu sprechen. Und er sagt mir dann einfach, ob und wo er irgendwelche Schwierigkeiten sieht. Glücklicherweise sind das meistens nur sehr wenige, und inzwischen bin ich an dem Punkt angelangt, an dem ich ihm einfach vertraue. Als ich angefangen habe, so vor vier oder fünf Bücher noch, war ich viel unsicherer und nahm immer gleich die Verteidigungsstellung an, und dann habe ich mich schon mal mit ihm rumgestritten, nur um dann am nächsten Tag, wenn ich wieder zuhause war und die betreffende Passage nochmal gelesen hatte, festzustellen, daß er vollkommen recht hatte. Nachdem, wir dann also miteinander gesprochen haben, überarbeite ich den Text ein letztes Mal. Wenn ich dann aber das fertige Buch irgendwann in den Händen halte und reinschaue, denke ich meistens, oh Gott, das hätte ich aber anders schreiben sollen, und das hier ist, das ist ja furchtbar, und sieh dir das an: dasselbe Wort in zwei aufeinanderfolgenden Sätzen.

BiN: Also haben Sie durchaus gemischte Gefühle, wenn Sie das fertige Buch zum ersten Mal sehen?
MD: Allerdings, denn es ist einfach zu spät, noch irgendwas zu ändern.

BiN: Aber Sie sind auch ein wenig euphorisiert?
MD: Ja, natürlich. Als Buch sieht das einfach ganz anders aus. Das hängt genau mit dem zusammen, was ich vorhin sagte - daß ich das Manuskript ungern Leuten zeige, die nicht selbst schreiben. Leute haben einfach automatisch Respekt vor einem gedruckten Buch. Man kann ihnen den letzten Scheiß in die Hand drücken - wenn es nur ein fertiges Buch ist, werden sie sagen, oh, wow, wie toll, aber geben Sie ihnen Prousts A la recherche als Manuskript und Sie werden zu hören kriegen, was ist denn das?, das sieht ja aus, wie etwas, was mein Kind fabrizieren würde. Also wirklich, das ist psychologisch bedingt. Jedenfalls, normalerweise bin ich nicht sonderlich glücklich mit einem neuen Buch, wenn es gerade herausgekommen ist, aber manchmal passiert es dann, daß ich vier oder fünf Jahre später aus dem Buch nochmal in irgendeiner Buchhandlung lesen muß. Und dann blättere ich darin, und ich denke, mein Gott, ist das gut, so was werde ich nie wieder hinkriegen.

BiN: Wie wichtig sind eigentlich gute Kritiken für Sie? Und wie wichtig ist es, ein großes Publikum zu haben - zu wissen, daß viele Leute das lesen, was Sie geschrieben haben?
MD: Hm, also erstmal zu den Kritiken. Gute Kritiken sind natürlich äußerst erfreulich, und sie sind besonders erfreulich, wenn man glaubt, daß der Kritiker a) das Buch gelesen hat, was keineswegs immer der Fall ist, zumal in Amerika, und b) das Buch auch verstanden hat, was noch seltener ist. Wissen Sie, manchmal liest man Kritiken, auch wirklich sehr gute Kritiken, solche, die der Verlag auf dem Paperback zitieren wird, und man denkt, nun, das ist eine wunderbare Kritik, und der Bursche sagt viele nette Sachen, aber hat er auch das Buch gelesen, das ich geschrieben habe? Es ist wirklich erstaunlich. Und was schlechte Kritiken anbelangt, muß ich, auch auf die Gefahr hin, unbescheiden zu wirken, sagen, ich hatte nur sehr wenige. Und dann denke ich halt, okay, du kannst es einfach nicht jedem recht machen. Nun, zur Zahl der Leser: natürlich ist es toll, viele zu haben, aber irgendwie kommt es mir weniger auf die Zahl, auf die reine Quantität an als vielmehr in gewisser Weise auf die Qualität. Sehen Sie, wenigstens eines meiner Bücher ist in 16 Sprachen übersetzt worden und alle anderen wenigstens in zehn bis zwölf, und das gibt mir schon eine Befriedigung - zu wissen, daß ich ein Publikum habe in Deutschland, in Japan, in Frankreich, also nicht nur in England und Amerika. Das vermittelt mir einfach das Gefühl, daß ich irgendetwas wirklich richtig machen muß, um Leute mit so unterschiedlichem kulturellen Hintergrund anzusprechen.

BiN: Sie haben einmal gesagt, Sie wollten lieber ein erstklassiger Kriminalschriftsteller sein als ein zweitklassiger Mainstreamautor. In meinen Ohren klingt das ziemlich provokativ, so als wollten Sie hören, daß ein erstklassiger Kriminalschriftsteller einfach ein erstklassiger Schriftsteller sein kann, was, nebenbei, meine Ansicht ist. Also, wie ist das zu verstehen?
MD: Das Zitat stammt aus einem Gespräch, in dem mich der Interviewer gefragt hat, warum ich eigentlich keine richtigen Romane schreibe. Ich meine, ich glaube nicht, daß das sehr paternalistisch gemeint war, aber so kam es eben rüber. Er sagte sowas wie: Sie verstehen Ihr Handwerk doch offensichtlich sehr gut, warum schreiben Sie da keine richtigen Romane? Das Zitat geht übrigens auf Richard Strauß zurück. Der hat, als er mit einem Orchester probte, das ein neues Stück von ihm aufführen sollte und ziemlichen Mist zusammengespielt hat, das Orchester gestoppt und gesagt, Meine Herren, so kann das nicht gehen, ich bin zwar kein Komponist von erstem Rang, aber ich bin ein erstklassiger Komponist von zweitem Rang. Um es anders auszudrücken: was er gesagt hat, ist: Ich bin zwar nicht Beethoven, aber zum letzten Scheiß gehör ich auch nicht. Und ich fand immer, daß das eine hübsche Unterscheidung ist. Das Großartige an Strauß war einfach, daß er sich völlig darüber im Klaren war, wie gut er war. Er wußte, daß er nicht zur absoluten Spitze zählte, aber er wußte auch, daß er schon verdammt gut war. Was ich damit sagen will, ist, daß mir völlig klar ist, daß ich nicht zur aller ersten Klasse im Sinne der großen Autoren der Weltliteratur zähle, aber ich habe den Eindruck, daß es einige gibt, die genau das anstreben. Nur daß es in der Kunst keine guten Noten für den Versuch gibt.

BiN: Und wer sind die erstklassigen Kriminalschriftsteller neben Michael Dibdin?
MD: Da gibt es keine. Im Ernst: da gibt es eine ganze Reihe. Also zu den Leuten, die ich wirklich gerne lese, gehört zum Beispiel Elmore Leonard. Oder Sara Paretsky, das heißt, die wirklich guten Sachen von ihr. Ruth Rendell, wobei wieder nur die guten Sachen. Ihr Problem ist einfach, daß sie viel zuviel schreibt. Dann habe ich Patricia Highsmith immer gern gelesen. George V. Higgins aus Boston hat ein paar ausgezeichnete Bücher geschrieben, und Carl Hiaasen - der kann äußerst komisch sein. Also, da gibt es wirklich viele. Walter Mosley mag ich noch sehr gern. Wirklich, an guten Kriminalschriftstellern gibt es keinen Mangel, und das Genre scheint ja immer noch zu wachsen. Ich glaube, das ist eines der interessantesten kulturellen Phänomene der letzten 20 Jahre, daß etwas, was eine Nebenrolle gespielt hat, kaum bedeutender gewesen ist als Science-Fiction oder das Schmonzettengenre, daß das jetzt was wirklich Großes ist. Insofern hatte ich natürlich auch Glück. Ich hab genau zum richtigen Zeitpunkt angefangen.

BiN: Da Sie Elmore Leonard erwähnt haben, haben Sie Get Shorty gesehen?
MD: Ja, hab ich.

BiN: Und hat er Ihnen gefallen?
MD: Ja, sehr sogar - ein wirklich bezaubernder Film, und John Travolta, das heißt, alle Darsteller spielen einfach phantastisch. Und wissen Sie was interessant ist - John Travolta hat Leonards Buch gelesen und war völlig begeistert, und dann hat er das Drehbuch gelesen und mußte feststellen, daß sie alle wirklich guten Sätze gestrichen hatten, und so ist er zu den Produzenten gegangen und hat gesagt, entweder kommen diese Sätze wieder rein oder ich spiele nicht mit. Und ich glaube, das ist ein wichtiger Grund dafür, daß der Film so gut geworden ist. Im Film steckt jetzt einfach viel von Leonards Sprache. Zum Beispiel Travoltas Satz Look at me. Look at me - you are not looking at me. Das kommt direkt aus dem Buch.

BiN: Und das war einer der Sätze, die Travolta wieder ins Drehbuch gebracht hat.
MD: Genau. Und da gibt es ein ganzes Bündel Sätze, die direkt aus dem Buch übernommen sind. Und ich kann mir gut vorstellen, wie Travolta das Buch gelesen und gedacht hat, ich kanns kaum noch abwarten, diese Szene zu spielen. Aber so laufen diese Sachen halt. Sie kaufen ein Buch, weil es eine tolle Sprache hat, und dann streichen sie so lange daran herum, bis von der eigentlichen Sprache nichts mehr übrig ist. Das ist einfach lächerlich.

BiN: Zurück zum Schreiben: Arbeiten Sie zur Zeit an einem neuen Buch?
MD: Ich habe gerade eines fertiggestellt.

BiN: Die letzte Fassung schon? Ihr Lektor hat es schon gelesen?
MD: Wahrscheinlich sitzt er jetzt gerade dran.

BiN: Also werden Sie von Berlin nach London fliegen?
MD: Ja, übermorgen früh. Am Wochenende werde ich mich mit ein paar Freunden treffen, und am Montag habe ich eine Verabredung mit ihm.

BiN: Und worum geht's in dem Buch?
MD: Das Buch ist die Nummer 5 in der Aurelio-Zen-Reihe. Es spielt in Neapel, und es heißt Cosi fan tutti - nicht Cosi fan tutte, aber natürlich gibt es da eine Verbindung. Für die Reihe denke ich, ist das Buch eine Art Neubeginn: Der Tonfall ist etwas heiterer - ganz gewiß jedenfalls, wenn man es mit Dead Lagoon vergleicht. Das war ein ziemlich düsteres Buch. Sehen Sie, eine Buchreihe zu schreiben ist etwas ganz anderes als einen einzelnen Roman zu verfassen. Alles, was man in früheren Bänden einmal einführt, hat man später zu berücksichtigen und oft beizubehalten. Und da ist es sehr schwierig, de facto nicht immer ein und dasselbe Buch zu schreiben. Ich meine, in gewisser Weise ist das Sara Paretsky mit Varshaw Wolinsky so gegangen. Ich habe mit Sara darüber geredet, und sie hat Varshaw ziemlich satt, aber es ist nicht gerade leicht für sie, mit der Reihe aufzuhören.

BiN: Weil es eine große Nachfrage gibt.
MD: Und ihr der Verlag Angebote macht, die sie nicht ausschlagen kann. Also, das Problem ist wirklich, daß das Ganze, wenn man nicht höllisch aufpaßt, zu einer reinen Wurstmaschine wird. Was man auf der einen Seite reinsteckt, kommt auf der anderen wieder raus. Also wollte ich für etwas Abwechslung sorgen. Wie gesagt, es ist viel heiterer, es hat viel eher den Ton einer Opera buffo. Karl Marx hat doch einmal gesagt, daß alles zweimal passiert: das erste Mal als Tragödie, das zweite Mal als Farce. Nun, ich habe mit der Tragödie angefangen, jetzt kommt die Farce.

Mit Michael Dibdin sprach Steffen Huck.