Im Schatten der Mangroven -

oder die Virtuosität des Blicks.

Von Steffen Huck.
 
Im ersten Licht, noch bevor die Sonne aufging, war der Himmel knochenweiß gewesen. So kündigt sich an einem frühen Morgen vor den Augen Dave Robicheauxs ein Unwetter an, das die Küste Louisianas erschüttern wird. Ein wenig dauert es zwar noch, aber dann kommt er, der Hurrikan, und der Himmel im Süden hatte erst die Farbe von dunklem Zinn, dann durchzogen ihn Regen- und Gewitterwolken. Kleine Tornados fielen wie Schlangen aus den Wolken, füllten sich mit Wasser und rissen Bäume aus der Marsch, nur um dann unvermittelt auseinanderzubrechen, wie Peitschen, die sich mit einem Schlag in nichts auflösen. Doch noch zuvor, als die Nächte noch nach Hyazinthen duften, dräut anderes Unheil. Die Leiche Cherrie LeBlancs ist es, die Böses ahnen läßt – vergewaltigt und verstümmelt. Man ahnt das Werk des Psychopathen, und Detective Robicheaux ermittelt.

Da das Buch beginnt, geht die Sonne unter, und Robicheaux will seinen Tag beschließen, als der sturzbesoffene Filmstar Elrod Sykes mit seinem Cadillac Robicheauxs Nachhauseweg kreuzt. Sykes hat wenig Lust auf eine Blutprobe, und dadurch wird alles bald kompliziert. Sykes schlägt dem Detective einen Deal vor: Drückt Robicheaux ein Auge zu, will er ihm von einem Leichenfund erzählen – von einem toten Schwarzen, der schon lange das Stadium der Verwesung hinter sich gelassen hat und an einem Ort liegt, an dem – und den Detective durchzuckt es bei der Erinnerung – Robicheaux vor über 30 Jahren einen ungesühnten Mord beobachtet hat, der einer Hinrichtung glich. Doch damit nicht genug. Auf den Fuß folgt die nächste Neuigkeit in Lafayette. Julie Balboni ist zurück – Balboni, der in Lafayette groß wurde, um einst auszuziehen und in der Mafia New Orleans eine große Nummer zu werden, Balboni, der mit Robicheaux aufs College ging und diesem später einmal in New Orleans das Leben rettete, Balboni, den man nicht so gern willkommenheißt in der Heimat.

Nichts scheint all dies gemein zu haben. Doch die Verbindung war immer da. Ich hatte nur nicht an den richtigen Stellen gesucht, wird Robicheaux sagen. Erleichterung bedeutet dies nicht, denn für viele kommt die Erkenntnis zu spät – sowohl für Kelly Drummond, die Schauspielerin aus Hollywood, als auch für Amber Martinez, die Mexikanerin, die ihre Vorstellungen stets mit Männern gab, die dafür zahlten. Beide sterben durch Kugeln. Und Erleichterung verschafft auch nicht der Blick nach vorn: Der Hurrikan marschiert heran, und Robicheauxs Tochter fällt in die Hand des Killers.

Man liest dieses Buch von James Lee Burke wie in einem Rausch. Man bewegt sich mit Robicheaux durch die Wälder und entlang der Bayous, man atmet die feuchte Luft und halluziniert. Man hat Angst und schaut. Und es sind vor allem die Blicke Robicheauxs, die Blicke auf Sonnenauf- und untergänge, auf die Spiegelbilder des Mondes und die Farbenspiele der Vegetation, die einen hinreißen, fortreißen, und taumeln lassen. Nicht genug kann man haben. Burke beschreibt mit einer Besessenheit und Genauigkeit, mit einer Kühnheit, die einzigartig ist. Und es gelingen ihm Metaphern, die einen innehalten und nachdenken lassen - so lange, bis man eine Klarheit des Blicks erreicht, wie man sie sich alltags höchstens wünschen kann. Burkes Wahrnehmung ist präziser als es selbst physikalische Apparate zu sein vermögen. Niemals hat jemand genauer einen Reflex auf Glas beschrieben:

Auf den Schlafzimmern glänzt ein bernsteinfarbenes Licht, das gut in Eichenholzfässern gereift sein könnte. Und nichts von all dem, von den Vergleiche und Parallelen, nichts geht daneben. (Dabei würde man für eine einzige dieser Beobachtungen gern ein Dutzend schiefgegangener in Kauf nehmen. Doch man kommt erst gar nicht in die Verlegenheit, über trade-offs nachzudenken, und daran hat auch Oliver Huzly großen Anteil, der das Buch schlichtweg famos übersetzt hat, dessen Name man sich also – und zwar nicht nur anbetrachts der allgemeinen Übersetzungsmisere – gut merken sollte.) Nichts geht Burke daneben, und so wundert es nicht, daß auch die Geschichte, die er Robicheaux erzählen läßt, eine großartige ist. Sie ist so spannend, daß man manchmal schwer atmen muß, sie ist so vielschichtig, daß es manchmal zu blitzen scheint, und sie geht so tief, daß man schließlich schaudert.

Die Zeiten, das zeigt Burkes Buch so deutlich wie nur möglich, in denen Autoren reüssieren konnten, indem sie einen guten Kriminalroman schrieben, der das Genre entwickelte aber darüberhinaus nichts zu sagen hatte, sie sind vorbei. Und so ist Burkes Roman jenseits aller Genreideen sclicht ein exceptionell guter Roman. Und James Lee Burke selbst dürfen wir getrost zum Dutzend der besten zeitgenössischen amerikanischen Schriftsteller zählen.

James Lee Burkes Im Schatten der Mangroven ist als Goldmann Taschenbuch erschienen.