Der Streik der Buchstaben

Christoph Gibson über Thomas Baerschs "Der Streik der Buchstaben"
 

Wie kommt man bloß auf so eine Idee? Den Buchstaben des Alphabets reicht es ploetzlich. Sie wollen sich nicht mehr von den Menschen mißbrauchen lassen, fuer deren Kriegserklärungen, Abschiedsbriefe oder Zeitungslügen. Sie haben es satt, täglich milliardenfach benutzt zu werden, ohne daß den Menschen auch nur einmal ein Wort des Dankes ueber die Lippen kommt. Sie fordern - angestachelt durch das ehrgeizige E - von den Menschen eine "Dankeschönseite im Duden, ganz vorn, da, wo die Menschen mit dem Blättern beginnen. "Wir Menschen bedanken uns bei unseren lieben Buchstaben für all ihre Muehe!", soll auf der Seite stehen. Andernfalls, so drohen die Lettern, würden einzelne von ihnen in einen Streik treten.

Das Verhaengnis nimmt seinen Lauf. Die Forderung des Alphabets fällt in die Hände des Direktors fuer Deutsche Rechtschreibung, Dr. Norm und seiner Sekretärin, Fraeullein Tipp. Beide halten das fuer einen Scherz und werfen den Brief in den Müllkasten. Tags darauf sind sie Buchstaben verschwunden. Nicht alle, sondern nur das E, das G, das T und das P. Sie fehlen nicht nur auf dem Papier, in Computern oder Strassenschildern, sondern auch in den Koepfen der Menschen. Das Land verfällt in Panik. Die Politiker schicken den Geheimdienst auf die Suche, und Dr. Norm erhält den Auftrag, neue Regeln zu erfinden, um die Lücken zu füllen. Dr. Norm verweist zaghaft auf den Brief, wird jedoch ausgelacht und muss sich schweren Herzens daran machen, neue Regeln zu erfinden. So ersetzt er das fehlende E durch ein Ae, das G durch das K, das T durch das D und das P durch das B. Die Sprache verarmt, doch die Menschen arrangieren sich damit, manche finden das sogar ganz toll, "endlich nicht mehr so viele Buchstaben im Kopf behalten zu müssen, wie früher." Die Buchstaben sind bitter enttäuscht, auch andere verabschieden sich, wieder muss Doktor Norm mit neuen Regeln reagieren. Dabei ziehen alle an diesem Strang mit. Vor allem die Politiker, die sich "mit so einem geforderten Dankeschön "DOCH NICHD LAeCHAeRLICH machen wollen". Außerdem haben sie ohnehin keine bessere Idee - und verkaufen die Reform als einzig denkbare Reaktion. Nur die Kinder, die gerade lesen lernen, sind sauer, sie können mit ihren Fibeln nichts mehr anfangen und starten einen Versuch zur Rettung der Situation.

Thomas Baersch charakterisiert das Handeln der Menschen, ihr Herumdoktorn an Symptomen statt an der Ursache mit wohltuender Distanz und ohne erhobenen Zeigefinger. Er verliert dabei nie die Perspektive und sorgt damit für ein ungetrübtes Lesevergnügen, bei dem man - auch beim mehrmaligen Lesen - immer wieder auf neue, wunderschöne Momente stoesst. Somit verbindet die Geschichte liebevoll erzählte Ironie mit phantastischen Elementen, die das Buch sowohl für junge, als auch für reifere Leser zu einem Schmuckstück im Buecherschrank werden lassen koennten.

Thomas Baersch, 30, lebt in Göttingen, arbeitet meist journalistisch für den öffentlich-rechtlichen Hörfunk, schreibt längere Reportagen, aber auch Features und Hörspiele. "Der Streik der Buchstaben" ist sein erstes Buch.

Verlag Faber & Faber, Leipzig, DM 24.00, Illustrationen Hans Ticha.