Martin Amis.

BiN stellt den Autor, seinen Roman 1999 und eine misratene Übersetzung von Information vor. Mehr über Amis gibt's auf einer großen Webseite über ihn:



1999

Martin Amis

Die Erdachse hat sich verschoben. Die Sonne steht tief. Das Wetter ist big talk. Und Samson Young will ein Buch schreiben. Er weiß sogar schon worüber. Über einen Mord nämlich. Und er kennt schon das Opfer, Nicola Six, hochgewachsen, dunkel, vierunddreißig. Und den Täter.

Kapitel 1 heißt 'Der Mörder'. Und so fängt es an: Keith Talent war ein Schlimmer. Keith Talent war ein ziemlich Schlimmer. Man könnte sogar sagen, daß er ein ganz Schlimmer war. Aber nicht der Schlimmste. Dann gibt es da noch den Dritten im Bunde, Guy, das Medium: Guy Clinch war ein Guter - jedenfalls ein Netter. Nicola, Keith und Guy. Und Samson Young, der ihre Geschichte erzählt. Samson Young, der ihre Geschichte erzählt, nachdem er ihre Bekanntschaft geschlossen hat. Samson Young, der Keith, Nicola und Guy kennenlernt und weiß, daß ein Mord geschehen wird. Samson Young, der endlich wieder schreiben wird. Der beobachten wird. Der Guy, Keith und Nicola und alle ihre Frauen und Männer, Freunde und Kinder beobachten wird, um über sie zu schreiben. Samson Young, das Neutrum, der der Versuchung, mit Lizzyboo ins Bett zu gehen, zu widerstehen weiß.

Aber der Beobachter ist nicht neutral. Es gilt Heisenbergs Unschärferelation. Der Beobachter verändert die Beobachteten. Flann O'Brien ließ den Ich-Erzähler von In-Schwimmen-zwei-Vögel mit den von ihm erfunden Figuren verhandeln, und manch einer mag gedacht haben, daß diesem Thema nichts mehr hinzuzufügen sei. Martin Amis, der Autor von 1999, läßt seinen Ich-Erzähler mit wahren Figuren reden, echten Menschen, Menschen, die er am Flughafen und in der Bar kennengelernt hat. Aber auch er verhandelt mit ihnen über den Fortgang der Geschichte. Doch diese ist längst geschrieben, der Fortgang determiniert.

Nein, Amis' Figuren haben keine Wahl, nicht einmal der Autor. Genaugenommen, der schon gar nicht. Und so wird Nicola Six, die schon immer wußte, daß sie ermordet würde, ihren Mörder finden. Der Leser kennt ihn. Aber sie, sie wird sich vorbeugen. "Du", wird sie in schockierter Erkenntnis sagen: "Immer du."

***

Martin Amis' 1989 in England veröffentlichter (und just bei Rowohlt erschiener) Roman ist eines der großartigsten Stücke Literatur des ausgehenden Jahrhunderts, und halb ist man verwundert, halb zutiefst erfreut, daß der 1949 geborene Engländer in seinem Heimatland (und halb auch in den Staaten) beinahe die Popularität eines Popstars genießt, daß es einem Autor von Rang, vor dem sich künftige Generationen verbeugen werden, um mit Arno Schmidt zu reden, daß es so einem gelingt, 480 Tausend englische Pfund Vorschuß für seinen gerade vollendeten neuen Roman zu kassieren. Wie das Werk selbst scheint dieser Umstand ein Mirakel, so wie es immer noch verblüfft zu sehen, welche Auflagen Thomas Manns Buddenbrooks dereinst erzielt haben. (Aber Amis ist eher Geistesverwandter Schmidts, und viele hübsch pointierte Nebenbemerkungen gibt es:
Menschen? Menschen sind chaotische Quidditäten, die einzeln in verschiedenen Höhlen leben. Sie verbringen die Stunden mit amourösem Grollen, Erinnungsplayback und Gedankenexperimenten. Am Lagerfeuer dann geben sie die üblichen Fitzelchen preis und lauschen ihrem eigenen Gestammel, wie es ihnen geht und wie es mit ihnen bergab geht. Wir wissen doch Bescheid.)

Aber natürlich ist Amis kein Epigone. Weder deutscher noch angelsächsischer Schreiber. Amis hat etwas von Originalgenie, das das Privileg vergangener Epochen zu sein schien. Amis ist nicht einfach ein großer, womöglich postmoderner Kompilator, obwohl er sehr viel gelesen hat und obwohl er dazu neigt, unaufdringlichst Zitate zu verstecken. Auf der Straße wanken und schwanken die Armen, Leichenzügen gleich. Aller Augen Eis.

Nein, Amis will sich nicht verrätseln. (Noch kein großer Autor wollte das, und jeglicher Versuch, es zu tun, entlarvt den minderbegabten Dilettanten.) Und so muß man auch nicht lange rätseln, welche Welt dies ist, von der Amis schreibt, welche Zustände 1999 herrschen. Es sind die, die aus den heutigen hervorkommen, aus ihnen evolvieren. Und mit beiläufiger Präzision schildert Amis die treibenden Kräfte und die Dilemmata, auf denen sie beruhen.

Jeder betrog, weil jeder betrog. Für einen, der von Hause Ökonom, ist es faszinierend, wie Amis die moderne Sozialwissenschaft in Form der Spieltheorie (deren herausragende Vertreter ja 1994 mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften geehrt wurden) rezipiert, wie er auch ihre Implikationen für evolutionäre Prozesse verarbeitet.
Nicht minder faszinierend ist Amis als Virtuose der Analogie: Was haben schwarze Löcher - jenseits des offen Sichtlichen - mit Analverkehr gemein? Und wie steht es um Enola Gay und den imaginären Freundinnen kleiner Mädchen? 1999, dessen Originaltitel London Fields eines der Geheimnisse des Buches birgt, ist die wichtigste Neuerscheinung des gesamten Frühjahrs.

Steffen Huck.



 

"Wir sind alle Wichser."

Interview mit dem britischen Autor Martin Amis

Er gilt als das enfant terrible der britischen Literatur: Martin Amis, 47, von seinen Gegnern als Protégé seines Vaters Sir Kingsley Amis und als dekadenter Kotzbrocken abgetan, von seinen Bewunderern als literarischer Virtuose und postmoderner Innovator gefeiert. Romane wie Dead Babies (1975), Success (1978) oder Money (1984; dt. Gierig), ebenso gallenbittere wie hochironische Gesellschaftsgrotesken, die von Neid getriebene Egomanen auf einer unendlichen Jagd nach Sex und Geld porträtieren, haben ihm den Ruf eines intellektuellen Störenfrieds und Bürgerschrecks eingetragen. Mittlerweile hat ihn die britische Presse zur persona non grata erklärt, gemäß dem Motto: "Dem Kerl geht es einfach zu gut - machen wir ihn fertig." (Salman Rushdie) Der 480,000-Pfund-Vorschuß für seinen Roman Information wurde in den Medien ebenso heftig diskutiert wie seine Allianz mit dem in Branchenkreisen als "Dämonenkönig" und "Schakal" verschrienen Literaturagenten Andrew Wylie, die Scheidung von seiner Frau oder eine zahnkosmetische Operation; immer wieder wurden Amis Eitelkeit, Gier und Größenwahn vorgeworfen. Darüber ist fast vergessen worden, daß man es bei Amis mit einem brillanten Autor zu tun hat, der in Information (S. Fischer Verlag, 576 Seiten, DM 49.80) wieder einmal zur Höchstform aufläuft. Die bizarr-tragikomische Geschichte der sich befehdenden Autoren Richard Tull und Gwyn Berry gibt Amis einmal mehr Gelegenheit, das männliche Ego zu sezieren und mit beißender Schärfe Bilanz zu ziehen: über den Zustand der zeitgenössischen Literatur, die Unausweichlichkeit des Alterns und den Katzenjammer in der Mitte des Lebens.

Mit Martin Amis sprach Sky Nonhoff.
 

Sky Nonhoff: Sind Sie der Iggy Pop der britischen Literatur?
Martin Amis: Nun, ich wäre wohl Iggy Pop, wenn Iggy Pop einen Vater namens Sir Iggy gehabt hätte. Meine Ausnahmestellung in der englischen Literatur rührt vor allem daher, daß ich meines Vaters Sohn bin. Eine ganze Menge Leute haben Vorurteile gegen mich. Und wenn man dann wundersamerweise berühmt geworden ist, wird alles zu einer self-fulfilling prophecy. Egal, was man macht, es erregt Aufmerksamkeit, ob es nun interessant ist oder nicht. Aber im Wesentlichen heißt die Antwort wohl ja.

SN: Für die englische Kritik sind Sie immer noch der bad boy. Waren Sie ein böser Junge?
MA: Ich war ein sehr wohlerzogener Junge, ein Traum von einem Knaben, da können Sie mal meine Mutter fragen. Daß man mich heute noch den bad boy nennt, ist völlig absurd, da ich in drei Jahren fünfzig werde. Diesen Stempel hat man mir aufgedrückt, weil es da diesen bösen Mann gab, meinen Vater, und zwangsläufig mußte dieser auch einen bad boy zeugen. Mein Vater gehörte zur Gruppe der sogenannten angry young men, die gegen das englische Klassensystem anschrieben. Daß ich ein fieser Knochen bin, hat vielleicht auch damit zu tun, daß er am Ende zu einer Galionsfigur der Rechten wurde.

SN: Aber letztlich ist es doch ziemlich lächerlich, mit 47 Jahren immer noch den bad boy zu spielen.
MA: Für den bösen Jungen ist es an der Zeit, endgültig von der Bildfläche zu verschwinden. Zumal es den bösen Mann, meinen Vater, nicht mehr gibt. Jetzt ist es wohl an mir, selbst zum bösen Mann zu werden.

SN: War es nicht manchmal ziemlich frustrierend, gegen eine so übermächtige Vaterfigur anzukämpfen?
MA: Eigentlich hat mir das ziemlich viel Sympathie eingetragen, als ich zu schreiben anfing. Aber ich hatte im Grunde nie Zeit, mir darüber groß Gedanken zu machen. Wenn du jung bist, hast du keine Angst. Man begreift erst später, daß Schreiben wie eine Schlacht ist. Es geht nicht nur um Talent - in erster Linie handelt es sich um eine Frage der Ausdauer.

SN: In Information geht es um Literatur und Anti-Literatur. Der Bestsellerautor Gwyn Berry sagt, daß eine Million Menschen sich nicht täuschen können, während sein Gegner Richard Tull die genau entgegengesetzte These vertritt.
MA: Das ist eine Frage der Differenzierung. Eine Million Menschen haben höchstwahrscheinlich unrecht, aber warum sollen sie nicht auch mal richtig liegen? Der Punkt ist der: Gwyn Berry schreibt eben nicht materialistische Romane wie Jeffrey Archer, in denen es nur um die Akkumulation von Reichtum geht, sondern multi-ethnische Parabeln, deren einzige Tugend es ist, niemandem wehzutun. Nackte Heuchelei, das ist es, worauf es hinausläuft.

SN: Also eine Art Erbauungspornographie?
MA: Therapeutische Literatur, wenn man so will. Pornographie im Sinne billiger Befriedigung. Die Leute wollen rührselige Stories und Happy Ends, die Versicherung, daß schon alles seine Ordnung hat. Alles, was irgendwie unbequem sein könnte, ist ihnen zuwider. Kein Schriftsteller, der auch nur einen Penny wert ist, wird sich mit solchem Zeug abgeben.

SN: Verkommt die Verlagslandschaft heutzutage selbst zu dem "Hundekackpark", den Sie in Information so detailfreudig beschreiben?
MA: Es gibt eine ganze Reihe von Leuten, die glauben, daß Informatio" eine Satire auf den Literaturbetrieb ist, aber dieser Markt ist die Satire gar nicht wert. Der Buchmarkt spiegelt nur den öffentlichen Geschmack wieder, aber er bildet ihn nicht. Meine Satire richtet sich eher gegen die Kultur, die diesem Betrieb zugrunde liegt. Ich befasse mich mit der Farce, die da draußen inszeniert wird. Das Banale kann eine ungeheure Zentrifugalkraft entwickeln, und meine Satire ist nichts anderes als militante Ironie. Ironie mit einem militärischen Ziel.

SN: Ist die Information von Information, daß die Literatur keine Information mehr transportiert?
MA: Tatsächlich ist die heutige Unterhaltungsliteratur vollgestopft mit Informationen. Da gibt es Wälzer von der Größe von Texas, in denen jede Menge Information steckt, nur daß es keine Information mehr darüber hinaus gibt. Was die nackten Fakten angeht, besteht überhaupt kein Mangel an Information; diese Bücher strotzen nur so von akribischer Recherche, aber es ist nichts dahinter. Wenn man das Ganze mal mit hochgezogenen Augenbrauen betrachtet, muß man doch zu dem Schluß kommen, daß diese Art von Information niemanden weiterbringt; genausogut kann man die nächstbeste Enzyklopädie lesen.
Information ist ein Buch über Schriftsteller, auch wenn die beiden Autoren, die ich als Hauptpersonen gewählt habe, höchst unseriöse Vertreter ihrer Spezies sind. Und letztlich ist das ja auch die Welt, in der ich mich auskenne. Abgesehen davon hoffe ich natürlich, daß diese Charaktere etwas Universales haben. Die zwischen ihnen herrschende Rivalität ist ja nun beileibe nicht allein Autoren vorbehalten. Es ist ein universales Szenario, wenn man von seinem besten Freund in allen Belangen übertroffen wird und ihn zu hassen beginnt.

SN: Information, Money und Success spielen in einem so gut wie ausschließlich maskulin geprägten Kosmos. Der Literaturbetrieb scheint mir ebenfalls ein männlich dominierter Kosmos zu sein, und so wird er ja auch in Information dargestellt: jede Menge profaner Konkurrenzspiele, die unter Männern ausagiert werden.
MA: Das ist eine Wunde, in die man den Finger nicht oft genug legen kann.

SN: In Information heißt es über die Beziehung von Männern und Frauen: "Gina war erwachsen geworden. Und Richard nicht." Sind Männer dazu verdammt, für immer böse Jungen zu bleiben?
MA: Männer passen sich nur einer bestimmten Realität an. Sehen wir uns diese Wirklichkeit doch mal genau an: Männer, die den ganzen Tag in ihren Büros sitzen, sich gegenseitig Knüppel zwischen die Beine werfen und einander zu übertrumpfen versuchen. In ihrer Freizeit setzen sie das Ganze auf dem Tennisplatz oder dem Bolzplatz fort. Das Hauptinteresse von Männern liegt darin, anderen Männern zu zeigen, was Sache ist, und da es keinen biologischen Grund gibt, dieses Verhalten zu ändern, wird es beibehalten. Das männliche Ego ist eine elende kleine Gegend, ein äußerst begrenztes Terrain unterdrückter Gefühle, und deshalb wirken Frauen auf Männer auch so theatralisch. Männer sind cinematisch, immer cool. Ein deprimierender Gedanke.

SN: Ist die Geschichte der Geschlechter dazu verdammt, sich auf ewig zu wiederholen?
MA: Sieht so aus. Das vorrangige Objekt meiner Attacken in den letzten Jahren ist diese allgegenwärtige Tendenz, die man political correctness nennt. Männer sollen sich ändern, einen weiblicheren Blickwinkel entwickeln. Natürlich können wir das, aber bis wir das Ende des Regenbogens sehen, ist es noch weit hin. Man kann sich nicht kurzerhand umdefinieren, nur weil es einem gerade in den Kram paßt. Auch rassische Vorurteile lösen sich nicht über Nacht in Luft auf, nur weil wir sie für verschwunden erklären. Ich bin Rassist. Mein Vater war ein größerer Rassist als ich, und meine Kinder werden wiederum weniger rassistisch sein als ich. Jeder sollte sich klar und deutlich dazu bekennen, daß wir Rassisten sind. Die gesamte Political-Correctness-Bewegung ist der Feind der Wahrheit. Sie ist bloß eine Illusion, vorangetrieben von einer Ideologie, die an Verlogenheit kaum zu überbieten ist.

SN: Und die Aufgabe des Autors ist es schließlich, die Wahrheit zu sagen.
MA: In einer meiner Stories gibt es eine Szene, in der ein Mann eine Japanerin betrachtet. Für ihn sieht sie aus wie eine Comicfigur, und er hat gehört, daß japanische Frauen ziemlich gut im Bett sein sollen, sein müssen, wie er denkt. Schließlich denkt er über die Form ihrer Augen nach und sagt: "Vielleicht lassen sie sich ja ins Auge ficken." Wenn ich etwas derartiges schreibe, weiß ich, daß das Anstoß erregen wird, aber andererseits werden die Leute lachen, weil ein Satz wie dieser eine Art rassistische Wahrheit enthält. Leute denken solche Dinge, wenn sie jemanden sehen, der anders ist als sie. In einem politisch korrekten Utopia wäre es unmöglich, so etwas zu schreiben. Dann wird es nur noch Beschönigungen geben, und solche sind das genaue Gegenteil von Wahrheit ... und von Kunst, versteht sich. Letztlich geht es darum, sich zu dem zu bekennen, was man ist. Möglich, daß sich das alles einmal ändert. Aber bislang ist es dem männlichen Ego noch nicht gelungen, aus seinem Reptiliengehirn auszubrechen.

SN: Wahrheitsfindung durch Schockbehandlung.
MA: Ja. Es geht um Offenheit. Political correctness bringt einen doch nur dazu, sich selbst zu verurteilen. Gwyn Barry ist ein widerlicher Fatzke, schreibt aber die Romane eines Heiligen. Aber Romane sollten sich eben auch mit Makeln beschäftigen, mit dem, was nicht perfekt ist. Insofern denke ich, daß es die Aufgabe des Autors ist, seine Schwächen mit dem Leser zu teilen.

SN: Die Männer in ihren Romanen reden zwar die ganze Zeit über Sex, sind aber so egozentriert, daß sie nur noch in der Masturbation Befriedigung finden können.
MA: Kunst und Onanie sind nahe Verwandte, denke ich. In beiden Fällen ist das Resultat einsame Befriedigung. Ein Künstler ist per definitionem introvertiert und die meiste Zeit allein. Worte, Worte, Worte, wie Hamlet sagt. Im Grunde sind wir Autoren Wichser. Man besorgt es sich allein, hat die totale Kontrolle.

SN: Es geht ja auch um den Verlust der physischen Stärke, der Virilität und der Authentizität.
MA: Egal, ob man zwanzig oder achtzig ist, letztlich schreibt man immer über das Altern. Das ganze Leben dreht sich ums Altern. Anderseits haben selbst die größten Nihilisten der Literatur, Céline etwa oder Beckett, immer das Leben geliebt. Weil das Schreiben wie eine Liebesaffäre ist. Updike hat über Nabokov gesagt: "Das ist ein geradezu erotischer Stil. Er sehnt sich danach, die flüchtige Realität an seine haarige Brust zu drücken." Alle Schriftsteller lieben das Leben, auch wenn sie vielleicht eine komplizierte Beziehung dazu haben. Gute Literatur zieht einen nie runter - das ist ein ehernes Gesetz. Sonst würden wir uns nach einer Aufführung von King Lear oder Othello sofort ins Schwert stürzen. Das Prinzip der kathartischen Reinigung funktioniert immer noch, und insofern ist es guter Literatur auch unmöglich, Depressionen zu erzeugen.

SN: Haben Sie je mit der Frau ihres besten Freundes geschlafen, so wie Gwyn Barry in Information?
MA: Männer können keine Freunde sein, auf jeden Fall nicht in meinen Romanen. Andererseits muß man schon eine klare Linie zwischen Fiktion und wirklichem Leben ziehen. Tatsächlich habe ich eine ganze Reihe guter Freunde. Aber in Romanen lesen wir nun mal gern von schlimmen Dingen, genauso wie wir uns über Katastrophenmeldungen in den Urlaubsgrüßen unserer Bekannten freuen. Wer will schon von sonnigen Tagen am Strand und gutem Essen lesen? Wir wollen davon lesen, wie jemand im Urlaub mit Ruhr über der Toilette hängt und sich die Seele aus dem Leib kotzt. Die schlechten Neuigkeiten - das ist es doch, woran wir wirklich interessiert sind.

SN: Die Männer in ihren Romanen haben eine geradezu obszöne Lebenslust, aber eigentlich leiden sie die ganze Zeit.
MA: In einem Roman von Saul Bellow kommt ein Hund vor, dessen Bellen dem Protagonisten zu sagen scheint: Zum Teufel, macht doch das Universum ein bißchen weiter auf! Das ist es, was den männlichen Figuren in meinen Roman ebenfalls in den Ohren klingt.

SN: Verlieren wir unsere Authentizität durch die Pornographie, die in alle Lebensbereiche einsickert?
MA: Sie stellt einen Angriff auf unser eigentliches Dasein dar. Pornographie ist ein Blutsport, ein Gladiatorenkampf, bei dem andere in die Arena geschickt werden, damit wir unsere Phantasien ausleben können. Ich verstehe schon, warum Frauen Pornographie ablehnen, aber in gewisser Weise ist das so wie im alten Griechenland, wenn dem Überbringer schlechter Nachrichten der Kopf abgeschlagen wurde. Im Grunde bringt doch der Bote in diesem Fall lediglich die Wahrheit über die männliche Sexualität zur Sprache. Männer lieben Bilder, Frauen lieben Worte. Es geht um die menschliche Natur.

SN: Der Literaturbetrieb scheint mir auch so eine Art Arena zu sein. Wer haßt wen am meisten?
MA: In der Kontroverse um meine Person war es lediglich A.S. Byatt, die mich angefeindet hat, und sie hat sich bei mir entschuldigt. Nein, es sind nicht die Kollegen, die mich zum Haßobjekt auserkoren haben. Es ist ausschließlich die Presse. Die Journalisten haben die ganze Sache hochgekocht. Es dreht sich dabei um eine spezielle Art englischer Philisterei. England ist heutzutage nur noch die Nummer eins im Niedergang, eine Gesellschaft, mit der es stetig bergab geht.

SN: Die aber führend in der Literatur ist.
MA: Ja. Wenn eine Gesellschaft im Untergang begriffen ist, wozu sind Schriftsteller da? In England sieht man Autoren als die Leute, die sich beim Begräbnis auf die Schenkel schlagen. Und natürlich muß Literatur kritisch sein. Wir können den jetzigen Zustand nicht auch noch zelebrieren, dann hätten wir ja bloß noch Propaganda, noch so eine Wahlverwandte der Pornographie. In England sind wir die Nestbeschmutzer, die Burschen, die in der Gruft Graffiti sprühen. Das mögen sie nicht, und deshalb werden Leute wie ich auch von der Presse angefeindet.
Was das gegenwärtige Hoch der britischen Literatur angeht, glaube ich, daß es mit den Commonwealth-Autoren zu tun hat, mit den Rushdies und Kureishis. Als sie an unserer Küste ankamen, war die englische Literatur nur noch ein Schatten ihrer selbst, einfach nur noch Mittelklasse, geschwätzige Chroniken von Karriere, Scheidung und Ehebruch. Diese neuen Autoren haben unserer Literatur wieder Farbe gegeben, und obwohl wir sie einst versklavt haben, haben sie uns unsere Freiheit wiedergegeben und der Literatur neue Energien zugeführt. Vielleicht ist das ja sogar ein Zeichen, daß England auf dem besten Wege ist, eine funktionierende multikulturelle Gesellschaft zu werden.

SN: Sie haben ja selbst Ihren Teil zur Erneuerung der englischen Literatur beigetragen. Nicht zuletzt dadurch, daß Sie in ihren Romanen gelegentlich ja auch selbst auftreten, gemäß dem Heisenbergschen Prinzip, daß ein beobachtetes System mit seinem Beobachter kommuniziert.
MA: Postmoderne ist nicht bloß ein Trend, ein Wagen, auf den irgendwelche Autoren aufgesprungen sind. Postmodernismus war eine Vorahnung, was aus der Welt wird, und viele Autoren haben das zur gleichen Zeit gespürt. Es war eine Art Evolution, vergleichbar vielleicht mit der Entwicklung der Kunst im Italien des 16. Jahrhunderts, eine neue Perspektive, die Wahrnehmung, daß Platz für Expansion da war. Und wenn wir uns heute umschauen, erkennen wir, daß die Postmoderne längst in alle Lebensbereiche eingesickert ist. Fiktion und Realität: Politische Debatten sind für die Medien inszeniert, Politik selbst ist ein geschickt verpacktes Produkt. Der Schein der Dinge ist wichtiger als ihr Kern. Es geht um die Erkenntnis, daß all dies ein manipuliertes Spiel ist, mit einer Figur, die im Hintergrund die Fäden zieht. Das ist es auch, wovon die postmoderne Literatur handelt und was sie prophezeit hat: den Wandel in allen Lebensbereichen.

SN: In einem Artikel über die Frankfurter Buchmesse haben Sie einmal gesagt: Ich habe die Zukunft gesehen, und sie stinkt. Wie reagiert ihre Nase jetzt?
MA: Inzwischen sind wir ja weiter in die Zukunft vorgerückt. Ich finde es faszinierend, daß dieses armselige kleine Ding, das wir Buch nennen, immer noch etwas von der Größe eines amerikanischen Flughafens dominieren kann. Es ist immer noch ein Idiotenrodeo, inszeniert für die Größenwahnsinnigen aus dem Literaturbetrieb. In gewisser Weise schüchtert mich der ganze Rummel ein, aber auf der anderen Seite bricht es einem fast das Herz, wenn man sieht, daß das ganze Tohuwabohu wegen etwas veranstaltet wird, das doch eigentlich längst vom Aussterben bedroht ist, wenn man den Medien glauben will.

SN: Und der Vorschuß von knapp einer halben Million Pfund?
MA: Sie wissen gar nicht, wie teuer so eine Scheidung ist. Das ist alles längst ausgegeben.




 

Sechs = acht

Über Joachim Kalkas mißratene Martin Amis-Übersetzung


Manche Übersetzungen sind schlecht, manche sind gefährlich schlecht. Und gute gibt's auch. Klar. Wenn aber nun gefährlich schlechte Übersetzungen in Fernsehen und Feuilleton als gute ausgewiesen werden, dann ist der Kanal voll. Wie jetzt. Wie im Fall von Joachim Kalkas deutscher Fassung eines einst brillanten Buchs.

Die Rede ist von Martin Amis' The Information, und mit dem Titel geht's schon los. Denn Übersetzer (oder Verlag) haben dem deutschen Leser den bestimmten Artikel nicht zumuten wollen. Vielleicht wollte man Anklänge an John Grisham vermeiden, was verständlich wäre. Doch daß dafür Unbestimmtheit und folglich Sinnverlust in Kauf genommen werden, ist alles andere als verständlich. Aber halten wir uns nicht länger mit Kleinigkeiten auf, denn die traurige Wahrheit ist, daß die Übersetzung in toto in die Hose gegangen ist.

Man kann eine beliebige Seite herausgreifen und Amis mit Kalka vergleichen, und immer wird eines dabei klar: Kalka hat sich einen Scheiß um den Ton des Buchs gekümmert. Wo Amis melancholisch ist, ist Kalka umständlich und nüchtern. Wo Amis lakonisch und sarkastisch ist, ist Kalka allenfalls bemüht. Und so weiter und so fort. Natürlich kann man dies als übersetzerisches Prinzip verstehen - gibt es doch eine ganze Schule der Translation, die die Bedeutung von Klang negiert. Wir verabscheuen diese Schule, wollen hier aber nicht darüber streiten. Das heben wir uns für anderes auf.

Zunächst aber ein nettes Wort: Kalka war ohne Frage fleißig. Für sein Honorar hat er hart gearbeitet. So gibt es in dem Buch lange Passagen, die mit dem Idiom schwarzer Gangster gefüllt sind. Und da erforderte vieles mühselige Recherche, die Kalka auf sich genommen hat. Auch sind ihm einzelne Wortspielereien gut gelungen - zum Beispiel die Sache mit dem Kontinentsfall, der sich als Inkontinenzfall entpuppt. Doch gerade anbetrachts dieser Mühen ist es unverständlich und ärgerlich, warum Kalka sich auf so viele Fehltritte erlaubt, warum er sich auf jeder zweiten Seite willkürliche Eingriffe erlaubt, die genauso unnötig wie sinnentstellend sind.

So ändert Kalka beispielsweise gleich auf der dritten Seite einen Namen! Aus Marcus wird Marco. Zwar wird Marcus später auch bei Amis Marco genannt, aber eben erst später. Und Amis hat dafür gute Gründe. Kalka nicht.

Wer Namen ändert, ändert auch Zahlen. Und so macht Kalka (auf Seite 474) aus einem "six-lane highway" eine "achtspurige Autobahn" und verzehnfacht mal eben die Lichtgeschwindigkeit (S. 133), so daß es nun aussieht, als wüßte Amis nicht wovon er schreibt. Oder es wird aus einer Reihe von Projekttiteln, die bei Amis alle mit Un- beginnen, eine ebensolche Reihe, nur daß das Prinzip in einem Fall - und zwar in einem signifikanten - durchbrochen wird. Und gleichzeitig wird aus einem Unconceived ein Unbegriffen. Doch unbegriffen blieb hier höchstens Amis' Arrangement - für Kalka und für den unschuldigen deutschen Leser.

Aus einer "male nurse" macht Kalka einen "Wärter". Aus einer "necessary condition" wird ein "notwendiger Zustand", und aus "singularities" wird etwas "Singuläres" - Kalka scheint nicht die leiseste Ahnung von Krankenpflege zu haben, und auch einfachster mathematischer Terminologie ist er nicht gewachsen.

Aber Joachim Kalka beherrscht noch andere Verwandlungen. Zwei sind besonders bemerkenswert. So kann er aus einem einzigen Wort einen ganzen Satz machen. Und er kann Sätze ganz verschwinden lassen! Das letztere gelingt ihm auf Seite 443. Wo bei Amis 14 Wörter am Ende eines Absatzes stehen, steht bei Kalka - nichts. Das erstere sei hier ausführlich wiedergegeben, denn es dient auch als Beleg für unsere Eingangsthese, daß Kalka sich um Rhythmus und Melodie nicht die Bohne schert.

Das ganze Buch ist von astronomischen Betrachtungen durchwoben. Und so endet ein Kapitel (S. 270) bei Amis wie folgt: "Richard sometimes tried to antropomorphize the sun and the planets - or to solar-systemize his immediate circle. [...] He knew who he was. He was Pluto; and Charon was his art. Gina was Mother Earth. Bipolar, sublunar, circumsolar."

Und nun Kalka: "Richard versuchte manchmal, die Sonne und die Planeten zu anthropomorphisieren - beziehungsweise die ihm Nächsten zu sonnensystematisieren. [...] Er wußte, wer er war. Er war Pluto, und Charon seine Kunst. Gina war Mutter Erde. Bipolar, sublunar. Die Erde kreiste um die Sonne."

Aus einer Aufählung dreier Adjektive werden also zwei Adjektive und ein Satz. Und das ist in diesem Fall nicht nur eine Vergewaltigung des Tons, es induziert auch eine andere Bedeutung. Dabei wäre es naheliegend gewesen, "circumsolar" mit "circumsolar" zu übersetzen. Das Verb "antropomorphize" hat er ja auch mit "anthropomorphisieren" übersetzt - zu recht ohne
Rücksicht darauf, daß es das Wort in Wörterbüchern nicht gibt.

Daß Kalka im selben Absatz noch einen anderen Satz in seiner Struktur (und damit in seinem Tempo und Klang) entstellt, fällt kaum noch auf. (Es hätte natürlich heißen müssen: "..., und Charon war seine Kunst.") Nun, so geht es ständig zu in Kalkas Übersetzung.

Es ist die Respektlosigkeit, mit der Kalka Amis' Text behandelt, die wütend macht. (Die plumpen Fehler, die ihm unterlaufen und die ihn an zwei Stellen beispielsweise eine rührende Anspielung auf Amis' Freund Salman Rushdie übersehen lassen, die seien eher verziehen.) Die Respektlosigkeit aber soll an zwei weiteren Beispielen belegt werden. Amis arbeitet häufig mit Wortwiederholungen, mit Repetitionen ganzer Wörterfolgen manchmal. Kalka ist das schnurz. Auf Seite 458, wo sich bei Amis in zwei aufeinanderfolgenden Sätzen die Bezeichnung toady wiederholt, ist bei Kalka innerhalb eines Satzes (aber das nur nebenbei) erst von Tyrannin und dann von Tellerlecker die Rede. Schlimmer noch ist, was er sich auf den Seiten 482 und 483 leistet. Da übersetzt er nämlich how very unpleasant mit sehr peinlich (was eigentlich schon peinlich genug ist). Der Gag im Original besteht aber nun darin, daß eine halbe Seite ein Truism folgt, wie Amis die unumstößlichen Wahrheiten des Alltags nennt. Da heißt es nämlich:" Things were either pleasant or unpleasant", und der Kreis schließt sich. Bei Kalka heißt es nun aber gerade so, als hätte er vergessen, was er eben noch geschrieben: "Alle Dinge waren schließlich entweder angenehm oder unangenehm", und die Weisheit steht so lose im Raum, wie sie bei Kalka auf verlorenem Posten steht.

Genug. Die Übersetzung ist entnervend schlecht. Und nicht minder entnervend ist es, wenn die Rezensenten im Land sie loben, wenn der Herr vom Tagesspiegel im Literarischen Quartett behauptet, die Übersetzung sei gelungen, ohne daß ihm auch nur irgend jemand widerspricht.

Steffen Huck.